II imii II iiii iiiiii im II iiii

3 1761 08737898 0

Fraiisvestiteii

Untersuchung über den sehen Verkleidungstrieb

mit umfangreichem casuistischen und historischen Material

von

Sanitätsrat Dr. med. Magnusj^rschfeld

Arzt in Berlin

Presen ted to the LIBRARIES of tllC UNIVERSITY OF TORONTO

hy

Dr. John Hoenig

KOVAI. SOCrETY OF MFDICINF

FÜU.NDKI) lti05

INrOUl'OI! VTI’.I) in' ROYAI. CIIARTF.R 1831 NKW CHARTER l')07

(;rFT TO THE LlHExARY

lMU:SHNTl':n HY

Sir Woldon Dalrymple-Cliampneys

September 1972

Digitized by the Internet Archive in 2016 with funding from University of Toronto

https://archive.org/details/dietransvestitenOOhirs

Vorwort

Seit langem ist die erste Auflage der „Transvestiten“ ver- griffen. Auch auf antiquarischem Wege sind nur vereinzelte Exemplare erhältlich und diese entsprechend ihrer Seltenheit zu unverhältnismäßig hohen Preisen. Verleger und Verfasser werden immer wieder ersucht, eine Neuauflage oder wenigstens einen Neudruck der „Transvestiten“ herauszubringen. Die Zustände im Buchgewerbe während des Krieges und in den ersten Nach- kriegsjahren ließen uns davon Abstand nehmen. Jetzt, wo wir in etwas ruhigere Zeiten zu kommen scheinen, handelt es sich nun darum, entweder eine veränderte oder" erweiterte Neuauflage herauszugeben oder einen unveränderten Abdruck in beschränkter Zahl herzustellen.

Wir wählten aus folgenden Gründen den letzteren Weg. Der Verfasser ist für die nächsten Jahre mit literarischen Vei'- pflichtungen so überlastet, daß es ihm gänzlich unmöglich ist, neben der Leitung des von ihm inzwischen gegründeten „Instituts für Sexualwissenschaft“ eine Neuauflage vorzubereiten, dann aber, und das ist das AVesentlichere, ist in der ersten Auflage das transvestitische Problem nach allen Seiten so erschöpfend behandelt, daß außer neuen Beispielen kaum über das Wesen des trans- vestitischen Mannes und Weibes, die Ursachen und Folgen seiner merkwürdigen Neigung etwas von Bedeutung hinzuzufügeu wäre.

Die wissenschaftlichen Forschungen seit dem Erscheinen des Werkes haben vollauf unsere hier niedergelegten Auffassungen bestätigt, und vor allem haben es die Transvestiten selbst getan, die, seitdem dieses Buch über sie verbreitet wurde, in sehr großer Anzahl zu mir gekommen sind. Insbesondere die Arbeiten über innere Sekretion stellen es außer Zweifel, daß es sich hierum keine rein seelische Angelegenheit handelt, nicht um eingewurzelte

IV

Gewohnheiten, oder gar, wie immer noch einige meinen, um eine verkappte Form der Homosexualität, sondern daß bei dem Trans- vestiten ein sexueller Sondertypus vorliegt, eine psychobio- logische (körperseelische) Variante der Gattung Mensch. Immer wieder bekomme ich zum Teil sehr überschwengliche Briefe, in denen Tranvestiten der großen Freude Ausdruck geben, daß endlich jemand ihr wahres Wesen erkannt und gewürdigt hat. Diese Anerkennung erfreut mich, aber noch mehr freue ich mich, daraus zu ersehen, daß die gewonnenen Erkenntnisse vielen Menschen Ruhe, Selbstvertrauen, Lebenshoffnung und Lebensglück gebracht haben.

Berlin, 1. März 1925.

Institut für Sexualwissenschaft In den Zelten 10.

Dr. Magnus Hirschfeld,

Sanitätsrat.

Inhaltsangabe

Seiten

I. Casuistischer Teil 3—186

II. Kritischer Teil 187—304

III. Ethnologisch-historischer Teil*) . . . 305—562

I.

A. Einleitung und Fälle

3—158

FaU I . Fall II FaU III FaU IV FaU V FaU VI FaU VII FaU VIII FaU IX FaU X FaU XI

6—14

15—18

18—25

26—30

31—54

54-58

58—68

68—70

70—73

73—79

79—86

•) Von vielen, namentlich auch den im ethnologisch-historiBchen Teil erwähnten Transvestiten (wie den „Frauen als Soldaten“), besitze ich cha- rakteristische bildliche Darstellungen, die zur Dlustrienmg des gegebenen Textes geeignet wären. Verlag tind Verfasser kamen aber aus verschiedenen Gründen, vor allem auch um den Umfang und Preis des Buches nicht noch mehr erhöhen zu müssen, überein, zunächst von Abbildungen abzusehen. Sollten tmsere Leser jedoch auf die Illustrationen besonderen Wert legen, so bitten wir dies gütigst dem Verleger oder Verfasser nützuteilen, da wir uns, falls solche Wünsche in grösserer Zahl an uns heran treten, zur Publikation eines IV. illustrativen Teils (möglicherweise auch später einer illustrierten Ausgabe) entschliessen würden.

VI

Fall XII

Fall XIII

Fall XIV

Fall XV

Fall XVI

Fall XVII

B. Analyse der Fälle (Symptomenkomplex) . .

(u. a. Empfindungen der Trans- vestiten in der Tracht des eigenen u. in der des andern Geschlechts Zeitpunkt des ersten Auftretens des Verklei- dungstriebes — Durchführung der Verkleidung Verklei- dungssurrogate — die sonsti- gen L e b e n s g e w 0 h n h e i t e n der Transvestiten ihre Träume

körperliche Zeichen Rich- tung, Stärke u. Betätigungs- art ihres G e s c h 1 e c h t s t r i e b e s

die Ehefrauen der Trans- vestiten — Ellen zwischen männ- lichen Frauen u. weiblichen Männern der erotische Grundcharakter des Verklei- dungstriebes — die Abstam- mung der Transvestiten.)

II.

Differentialdiagnose

a) Geschlechtsverkleidungstrieb

u. Homosexualität

b) Geschlechtsverkleidungstrieb

u. Monosexualität

Seiten

86-100

100-114

115— 116

116- 127 127—138 138—158

159 186

187—257

187—199

199-202

VII

c) Geschlechtsverkleidungstrieb

u. Fetischismus

(Erklärung von Richard Wagners Briefen an eine Putzmacherin Seite 212 219)

d) Geschlechtsverkleidungstrieb

u. Masochismus

e) Geschlechtsverkleidungstrieb

u. Geschlechtsverwandlungs- wahn (Paranoia)

f) Geschlechtsverkleidungstrieb

u. Zwangsvorstellung

Die Kleidung als Ausdrucksform seelischer Zu- stände

Die Zwischenstufentheorie

Name, Begriff, Prognose und Therapie des Trans- vestitismus

III.

1. Symbole der Geschlechtszuge- hörigkeit (Ursprung der Kleidung) . .

2. Geschlechtsverkleidung, Bibel

(5. Buch Mos. 22, V. 5) u. R e 1 i g i 0 n . .

3. G e 8 c h 1 e c h t s V e r k 1 e i d u n g bei den

Naturvölkern

4. Geschlechts Verkleidung von

Kindern

5. Verbreitung der Geschlechts- verkleidung

6. Geschlechtsverkleidung als

Strafe

7. Geschlechts Verkleidung u. Ge- setz

8. Geschlechtsverkleidung u. Kri- minalität

Seiten

202—219

220—235

235—252

252—257

257—275

275—299

299—304

305-309

310-313

313-330

330—339

339—341

341—342

343—364

364—392

VIII

(u. a. Falschmeldungen Deser- tierungen — Diebstähle Hei- ratsschwindel — Erbschafts- schwindei — Verkleidung von Verbrechern zur Täuschung von Kriminalbeamten u. von Krimi- nalbeamten zur Täuschung von V erbrechern.)

9. Dauer der Geschlechtsverklei- dung

10. Geschlechtsentdeckung nach

demTode

11. S e 1 b s t m ö r d e r in Geschlechts- verkleidung

12. Gelegenheiten der Geschlechts- entlarvung

13. Geschlechtsentdeckung aus nor-

malsexueller Liebe und Eifer- sucht

(Geschlechtsverkleidimg des Minnesängers U 1- rich V. Lichtenstein S. 431 436.)

14. Kritik angeblicher Verklei-

dungsmotive

(Lebenslauf des Ritters d’Eon S. 438—451.)

15. Geschlechtsverkleidung auf der

Bühne

(u. a. Geschlechtsverkleidung im Zirkus u. Spezialitätentheater Ella Zoyara Mario Vacano der Marquis von Anglesey M ä n n e r - 1 m i t a t 0 r i n n e n die Vernet in Paris Vesta Tilley in London Frauen in Tenor- partieen Frau C o n t i-G e i s s 1 e r Felicitas v. Vestvali erstes Auftreten von Frauen auf dem Theater (1 67 0) Goethe über die

Seiten

392—401

401—414

414—419

420—429

429-436

436—451

451—475

IX

Darstellung von Frauen durch Männerim italienischen Theater (1 79 0) Gervinusüber Frauen- darsteller auf der Shakespeare- bühne — Schüler, Studenten u. Soldaten in Frauenrollen die berühmtesten Darstellerinnen des Romeo u. Hamlet die soge- nannten „Hosenrollen“ die Geschlechtsverkleidungs-Oper „A c h i 1 1 e in S c i r o“ Komikerais Frauen.)

16. Zur Komik der Geschlechtsver- kleidung

(Das Geschlechtsverkleidungs- motiv in der Literatur u. a. bei Goethe (das Mignonmotiv); Wie- land; Grimmelshausen; Körner; Meliere; Calderon; Boccaccio; Shakespeare; Byron; Voltaire; Mark Twain Geschlechtsver- kleidung im Carneval.)

17. Transvestiten auf Thronen . .

(u. a. Kaiserin Elisabeth von Russland Königin Karoline Mathilde Christine von Schwe- den. — die Päpstin Johanna Emil August „der Glückliche“.)

18. Einige seltenere Gründe der Ge-

6 c h 1 e c h t s V e r k 1 e i d u n g

(u. a. transvestitische Volksbal- laden S. 500 ff.)

19. Geschlechtsverkleidung aus Be- rufsrücksichten .

(u. a. Rosa Bonheur Madame Dieulafoy Esther Stanhope Arbeiterinnen in männlicher

Seiten

475—490

490-495

495—504

504-513

1

X

V 0

1 k s t r a

, c h t

transvest

i

tische

CI

u b s.)

N a

menst

ran

svestiten

(u.

a. Ge

0 r g

: e Sand

F

i 0 n a

M a

c 1 e 0 d

die M a r q u i

6

e

von

C r

e q u y.)

Fr

a u e n a

Is S

0 1 d a t e n . .

(u.

a. d i (

3 A

mazonen un

d

W a 1-

k ü

r e n

Ele

onore Proch

a

s

k a

F r

i e d e r i

k e

Krüger

B

1 e

r t h a

W e i s s

ein

Soldat, der

z

u

B e r -

1 i n 1746 „z

u g 1

eich von eini

e m

Sohn

u n

d vom Dienst“ entbund

e

n

wurde

Franz

i s k

a Scanagatt

a

- Ty-

roler Freiheitskämpferinnen die Jungfrau von Orleans l’Aniazone chretienne fran- zösische Kriegerinnen' Louise Michel u. Petrowna Blavatzky Angela Postowoitoff die Poloniza Hauptmann Durowa weibliche Heiduken u. Kosaken MichailownaSmolka woman- soldiers in der amerikanischen u. englischen Armee weibliche Militärärzte h.o lländische Soldatinnen Catalina de Erauso us w.)

Schlussbetrachtungen

Seiten

513—516

516—550

550—562

I. Teil.

Casuistik und Analyse.

A. Einleitung und Fälle.

Motto: Es giebt mehr EmpSimiungen nnd Erscheinungen als Worte

Jede neue Wahrheit vernichtet eine bisher dafür gehaltene Die schärfsten Folgerungen stürzen in sich zusammen, wenn die Grundlagen schwanken, auf die sie sich stützten. In der Geschichte der menschlichen Kultur und Wissenschaft haben Anschauungen, die zu ehrwürdigen Dogmen geworden waren, es mehr als einmal erleben müssen, dass sie eines Tages keine Gültigkeit mehr besessen. Je tiefer wir in die unzähligen Er- scheinungsformen der Natur eingedrungen sind, um so mehr Unvorhergesehenes wurde offenbar, um so häufiger haben wir umlernen müssen. Das ist unbequem und doppelt unan- genehm, wenn es eich um Voraussetzungen handelt, die zu Fundamenten staatlicher und sittlicher, gesellschaftlicher und religiöser Ordnungen geworden sind. Die Vertreter des Alten haben ein gutes Recht von dem, der an solchen Meinungs- pfeilern rüttelt, unantastbare Tatsachen zu verlangen, die jedermann, für den Ehrlichkeit und Ehre gleichbedeutend ist, nachprüfen kann. Die Vertreter des Neuen dagegen müssen sehr zufrieden sein, wenn sie Menschen finden, die sich nicht nur in der Theorie, sondern auch der Wirklichkeit gegenüber zu der Ansicht bekennen, dass Wechsel und Wandelbarkeit von Entwicklung und Fortschritt untrennbar sind, Personen, die wissen, dass „die Weisen gerne vom Irrtum zur Wahr- heit reisen.“

Die Trennung der Menschheit in eine männliche und weibliche Hälfte gehört zu den Lehr- und Leitsätzen, die jedermann in Fleisch und Blut übergegangen sind. Auch die-

1*

4

jenigen, die sich bemühen, Gegensätze wie Kraft und Stoff, Gott und Natur, Eins und All, Leib und Seele zu verein- heitlichen, halten an dem Dualismus der Ge- schlechter unerschütterlich fest und in der Tat sind auch an sich das männliche und weibliche Agens Realitäten, deren Zweiheit keinem Zweifel unterliegt. Ihre Wechselwir- kung ist uns für das Verständnis der Lehensvorgänge heute unentbehrlicher denn je. Man kann es fast so formulieren; M. und W. sind das A. und 0. der höheren Wesenheiten in Worten ausgedrückt: sie verdanken dem männlichen und weiblichen Prinzip Ursprung und Gepräge. Aber verfehlt ist es, stellt man sich beide als zwei völlig von einander gesonderte Einheiten vor; im Gegen- teil, die stets vorhandene Verschmelzung beider in einem, ihr unendlich variables Mischungsverhältnis, das damit beginnt, dass bereits der männliche Same

und das weibliche Ei jedes für sich mann-weibliche, herma- phroditische Gebilde sind, dieser Monismus der Ge- schlechter ist der Kernpunkt für Entstehung und Wesen der Persönlichkeit.

Doch ich will nichts voraussetzen imd nichts vorw'egnehmon, was zu beweisen erst meine Pflicht ist; ich werde im Verlaufe dieses Buches, das eine neue Seite des Zwischenstufenproblems beleuchtet, noch eingehend auf diese meine Grundanschauung, der ich bereits eine grössere Reihe früherer Arbeiten gewidmet habe, zurückkomraen. Es scheint mir richtiger, dass ich zunächst einmal ohne viele einleitende Worte die schlichten Tatbestände für sich reden lasse, erst dann Schlüsse ziehe, Erläuterungen gebe und Erwägungen anstelle, ob und inwieweit das Gefundene unsere Anschauungen zu erweitern und zu verändern geeignet ist.

Ich gestehe, dass auch mir die merkwürdigen Befunde, die ich hiermit der Oeffentlichkeit übergebe, auf meinem Ar- heitswege überraschend gekommen sind; zwar musste, wer sich intensiver mit den sexuellen Varietäten und ihren Ge- setzen beschäftigt hat, bei objektiver Betrachtung grosser Unter suchimgsreihen immer wieder neue Mischungsarten, neue Typen erwarten, er musste gefasst sein, dass er schliesslich

5

auch Männern und Frauen begegnen würde, die trotz völlig normalsexueller Triebrichtung psychisch starke Einschläge des anderen Geschlechts aufw'eisen würden, aber, obwohl ich selbst diese theoretische Möglichkeit hervorgehoben habe, befremdete es mich doch, als ich bei meinen Zwischenstufenstudien jene seltsamen Menschen genauer kennen lernte, von denen in dieser Arbeit die Rede sein soll. Bei den zuerst beobachteten Fällen (X und XII) glaubte ich noch, dass es sich vielleicht um Selbsttäuschungen handeln könne, dass beispielsweise bei einem Manne das eigene Weibgefühl, bei einer Frau das männ- liche Empfinden so sehr im Vordergründe stehen könne, dass demgegenüber der eigentliche Sexualtrieb, der bei vielen der ge- geschilderten Personen tatsächlich nur schwach zu sein scheint, so zurücktritt, dass seine Richtung nicht deutlich bewusst wird, aber sehr bald überzeugte ich mich doch, dass hier die Liebesneigungen dem körperlichen Habitus im wesentlichen adäquat sind, während der seelische Zustand dem Geschlechts entspricht, zu dem sich die Betreffenden hingezogen fühlen.

Zu den Fällen selbst sei noch vorbemerkt, dass ich die meisten von ihnen viele Jahre, einige 10, 12 Jahre und länger verfolgt habe. Mit Ausnahme von Fall XV, der mir vom Kolle- gen Lubowski überwiesen wurde und XVII, der sich zunächst an Kollegen Iwan Bloch gewandt hatte, war bei allen der Gang so, dass sie mündlich oder schriftlich an mich heran- getreten waren und dann von mir zu recht eingehenden Auto- biographien aufgefordert wurden, die sie völlig unbeeinflusst und unabhängig voneinander verfassten. Diese wurden, soweit irgend möglich, durch sorgsame Befragungen, Untersuchungen und vorsichtige Nachforschungen ergänzt. Viele sah ich in ihrer männlichen und weiblichen Lebensgestaltung, in Männer- und Frauentracht. Die meisten wurden auch Kollegen zur Exploration und Nachprüfung vorgestellt.

Die hier veröffentlichten Lebensbeschreibungen sind, wenn auch in der Schilderung einheitlich erscheinend, aus den ver- schiedenartigsten zum Teil sehr umfangreichen Aufzeichnungen, mündlichen Angaben und persönlichen Befunden zusammenge- stellt, mit möglichster Wahrung des jedesmaligen Original- gepräges.

6

Fall 1.

Herr A., Kaufmann, ca. 30 Jahre alt, stammt von ge- sunden Eltern. Anzeichen von Triebabweichungen oder De- generation in der Verwandtschaft sind nicht nachweisbar. Die körperliche Kindheicsent Wicklung war normal. Obwohl er an Knabenspielen teilnahm, zog er doch Häkeln, Stricken und Puppenspiele vor. Sein Aussehen soll immer etwas mädchen- haft gewesen sein. In der Schule zeigte er gute Fähigkeiten. Die Geschlechtsreife trat angeblich erst anfangs der zwan- ziger Jahre ein. Die Stimme war immer ziemlich hoch, ging erst Mitte der Zwanziger etwas herab. Bartwuchs stark.

Status praesens: Hüften männlich, Kon-

turen mehr mager, Hände und, Füsse von mittlerer Grosse; neigt zu Fusstouren, Tauzen. Radfahren und Schwimmen. Schritte gross und schnell. Hautfarbe weiss, zart, glatt. Eine Phimose mittleren Grades wurde durch Circumcision beseitigt. Haupthaar kräftig, Körperbehaarung unbedeutend. Wird leicht blass. Schmerzempfindlichkeit gross. Ohren klein. Kehl- kopf wenig hervortretend; Stimme hoch, ungeziert, neigt zum Sprechen in Fistelstimme, singt So- pran. Besitzt starke Empfänglichkeit für Affekte. Neigung zum Weinen, auch zu nervösen Lach- und Weinanf allen; schreibt sich Zärtlichkeit. Gutmütigkeit und Selbstaufopfe- rung zu. Ist sehr ordnungsliebend, gemächlichem Leben nicht abgeneigt; raucht gar nicht, verträgt wenig Alkohol. Hat etwas Neigung zu Schauspielkunst, Talent fiir Musik. Von geschichtlichen Persönlichkeiten interessieren ihn besonders Nero, Napoleon, George Sand, Bismarck, Kaiser Friedrich. Liest viel Romane und wissenschaftliche Werke; ist Frei- maurer.

Vita sexualis. Aus seinen Aufzeichnungen sei folgendes entnommen:

„Aus den Kinderjahren habe ich nur sehr dunkle Erinne- rungen, als 2 Sjähriges Kind soll ich in einem blauen Kleid- chen mit weissem Spitzenbesatz allgemein bewundert worden sein, weil es zu dem blonden Haar und blauen Augen so gut stand. Die Schule besuchte ich anfangs, etwa ein Jahr lang,

7

nur mit Widerstreben, oft gab es Schläge, und man brachte mich fast mit Gewalt hin. Der Grund meiner Abneigung mag vor allem aus dem mürrischen, barschen Wesen des Lehrers entsprungen sein, dessen finsteres Gesicht mir Furcht ein- flösste.

Später wurde ich einer der fleissigsten Schüler, und bin gern in die Schule gegangen. Ausser Knabenspielzeug habe ich stets meine Puppe gehabt. Sie wurde an- und ausge- kleidet, und überhaupt regelrecht mit ihr gespielt. Meine Mutter und Schwester fertigten viel Handarbeiten, für die ich reges Interesse bekundete. Ich lernte daher selbst häkeln, und brachte mit ziemlicher Geschicklichkeit hübsche Häkelarbeiten in Wolle und Zwirn zustande. Später dehnte ich meinen Handarbeitseifer auch auf Stickereien aus, sodass bald manches Produkt meiner fleissigen Nadel unser Heim zierte.

Sonst habe ich an allen Knabenspielen teilgenommen, nur das „Klettern“ habe ich bis zum heutigen Tag nicht kapieren können. Pfeifen kann ich sehr gut, darin bin ich ganz Mutters Sohn, denn meine Mutter konnte ausgezeichnet pfeifen. Seit meiner frühesten Kindheit hegte ich den Wunsch, Mädchenkleider anzuziehen. Ich habe mir im Alter von ungefähr 12 13 Jahren gelobt, diesem Wunsch oder Drang später, sobald es mir meine pekuniären Verhältnisse gestatten sollten. Genüge zu tun. Als ich heranwuchs, bin ich oft wegen meiner hohen Stimme und meines mädchenhaften Aussehens gehänselt worden.

An meine Jugendzeit zurückdenkend, sehe ich mich im Kreise meiner Spielgefährten, Mädchen und Jungen aus der Nachbarschaft, wie wir aus Eichenlaub Kränze und Guirlanden ^v•inden und uns damit als Braut und Bräutigam schmücken, den Brautzug markieren usw. Oft war ich der Bräutigam, manchmal habe ich mich aber auch als Braut schmücken lassen. Meine liebsten Spielgefährtinnen waren zwei Mädchen, Johanna und Maria. Mit ihnen habe ich bis zur Beendigung der Schulzeit alle Freuden und Leiden getragen, wir sind

8

sozusagen zusammen erzogen worden. Wurde icli oft von den Jungen als „Mädchenpfist“ (ein in der Heimat gebräuchlicher Ausdruck) verspottet, so antworteten wir wohl mit dem Kindervers :

„Mädchen tragen goldene Kränze,

Jungen kriegen Rattenschwänze,

Mädchen kommen ins Himmelreich,

Jungen in den tiefen Teich.“

(Jungen sangen umgekehrt.)

Später machte ich mir aus den illustrierten Katalogen grosser Firmen, wie Gerson usw., Puppenstuben, schnitt die Kostümbilder, Möbel, Betten aus, klebte alles in gehöriger Anordnung in ein Buch, und stellte mir so Salon, Schlaf- zimmer, Küche usw. zusammen. Die Kostümbilder wurden in den verschiedenen Zimmern verteilt, zu Bett gebracht, an- und ausgekleidet, und dergleichen mehr. Nahmen meine Ge- spielinnen ihre Handarbeiten vor, so holte auch ich meine Häkelei oder Stickerei herbei.

Unter all’ meinen Spielsachen bevorzugte ich meine Puppe immer am meisten. Als mir eines Tages von Mutter und Schwester erklärt wurde: „das ist das letzte Kleid, das du für deine Puppe bekommet, so ein grosser Junge soll sich schämen, noch mit Puppen zu spielen“ schlich ich mich aufs tiefste bekümmert davon.

Im Alter von etwa 13 Jahren hatten die Mädchen von den Geschlechtsunterschieden gesprochen, auch meine Freun- dinnen erörterten das Thema mit mir, und wir zeigten ein- ander unsere Genitalien, doch haben wir wohl keinerseits irgendwelche Erregung verspürt. Meine Gespielinnen be- handelten mich ganz als ihresgleichen, wir hatten keine Ge- heimnisse vor einander. Zu Geburtstagen und Weihnachten beschenkte ich sie stets mit selbst angefertigten Handarbeiten, und bin darauf nicht wenig stolz gewesen.

Nach der Konfirmation wurde ich durch die Lehrjahre etwas abgelenkt, doch war mein Interesse für weibliche An- gelegenheiten unvermindert und ich verfolgte die Mode- zeitungen usw. In dieser Zeit las ich eine Beschreibung über

9

die Toilette einer reichen Römerin, wurde dadurch sehr auf- geregt (im Gemüt, nicht geschlechtlich) und mein ganzes „Ich“ drängte mich zu weiblicher Tätigkeit. Ich wollte so herzlich gern ein Mädchen sein und träumte oft mit offnen Augen davon, schmiedete Pläne für die Zukunft usw. Oft sah ich mich im Traum als Mädchen und heute, nach ca. 14 Jahren sind mir noch die Gemächer erinnerlich, in denen ich leben wollte, oder von welchen ich träumte.

Als ich nach vollendeter Lehre in eine andere Stadt versetzt wurde, brannte ich mir die Haare (mein Innerstes trieb mich dazu) und zog unbe- obachtet jedes erreichbare weibliche Kleidungsstück an; oft bin ich des Nachts aufgestanden und habe versucht, aus der Garderobe ein Kleidungsstück der Haus- wirtstochter zu erlangen.

Wie oft habe ich vor dem Fenster einer schönen Aristo- kratin gestanden und gewünscht, die Gesellschafterin oder das Kammermädchen derselben zu sein. Fand ein Hofball statt, so war ich gewiss zur Stelle, um mein Ideal abfahren zu sehen und die Toilette zu bewundern. Stunden- lang bin ich unauffällig feinen Damen gefolgt, habe die- selben beobachtet, die Bewegungen studiert und mich an deren Anblick ergötzt. Um meinen Drang einigermassen zu stillen, kaufte ich meinen dürftigen Kassenverhältnissen entsprechend ein billiges Korsett (1,50). Ich habe dasselbe tagelang, dann ab und zu getragen. In dieser Zeit wurde ich im Geschäft wegen meiner hohen Stimme und meines mädchenhaften Aus- sehens oft gehänselt. Den Modeblättern wandte ich meine ganze Aufmerksamkeit zu und habe vor allen Dingen die Schaufenster der Damenkonfektions-Geschäfte täglich besichtigt.

Meinen Angehörigen und meiner sonstigen Umgebung habe ich meinen Hang, Damenkleider zu tragen, streng verheimlicht und alles vermieden, was mich verraten könnte. Bald wurde ich wieder in eine andere Stadt ver-

10

schlagen, wo ich zum ersten ^lal heisse innige Liebe empfand. Meine Angebetete kannte mein Interesse für Damenkleider und lieh mir öfters einige Kleidungsstücke. im Jahre löOO war ich lest entschlossen, als Dame zu leben, besonders seit mir der Lebenslauf der schönen Kunstreiterin Ella bekannt geworden war, doch ging das wegen meiner kleinstädtischen Unerfahrenheit und meines Geldmangels nicht gut. Ich machte zwar einige Versuche und schrieb auch an eine bekannte Künstlerin, offenbarte ihr mein Innerstes und bat dieselbe, mich als ihre Gefährtin aufzunehmen und mich in ihrer Kunst zu unterrichten.

Der Brief kam, heute sag' ich Gott sei Dank, denn ich hätte mich doch blamiert, unbestellbar zurück, und ich ver- nichtete denselben. Auch schämte ich mich meines Dranges nach weiblichen Angelegenheiten und versuchte ihn ganz energisch zu bekämpfen. Ich reiste einige Jahre, verfolgte zwar auch da alle diesbezüglichen Angelegenheiten, doch hatte ich nie Gelegenheit, mich praktisch damit zu befassen.

Ais ich meine Kontortätigkeit wieder aufnahm, wurde mein Wunsch nach Damenkleidern stärker als je, und ich wandte mich schliesslich an einen in der Presse lobend erwähnten Damendarsteller mit der Bitte, mir ein Kostüm abzulassen. Nach längeren Verhand- lungen erhielt ich einige Monate später ein Kostüm, und ich konnte mich gerade an meinem Geburtstage zum ersten Male von Kopf bis zuFuss vollständig als Dame ankleide n. Obwohl mir das Kleid nicht auf den Körper passte, zog ich alle die reizenden Toilettenstücke fast täglich, später einige Male wöchentlich abends in der Stille meines Zimmers an, und war selbstverständlich glück- lich wie nie zuvor. Später Hess ich mir das Kostüm abändern und konnte mit Lnterstützung einer Schneiderin einen Maskenball besuchen. Wie überaus selig war ich, als ich dem Lokal zu fuhr und beim Eintreffen ganz als Dame behandelt wur de. Ich tanzte viel, wurde von den Herren beschenkt und ver-

11

lebte einige der glücklichsten Stunden meines Lebens. Später Hess ich mir noch ein Gesellschaftskleid machen und zog es ebenfalls in der Stille meines Zimmers an.

In der Folgezeit bekämpfte ich meinen Drang nach Damensachen aufs ausserste; ich schloss meine Kleidungsstücke weg, und habe mich 4 Wochen, ein Vierteljahr, ja sogar noch länger nicht damit beschäftigt. Kam der Drang, so bin ich allen möglichen Zerstreuungen nachgegangen und habe in einer Zeit besonders viel (d. h. für meine verhältnis- mässig schwache Anlage viel) Geschlechtsver- kehr gepflegt.

Den ersten Koitus übte ich mit 24 Jahi’en aus, habe dann aber aus Angst vor Geschlechtskrankheiten kein Ver- langen darnach gehabt, weil ich mir nämlich gleich das erste Mal eine Gonorrhoe zuzog. Vier Jahre habe ich mich jeden Verkehrs enthalten. Eine Phimose l i e s s ich inzwischen beseitigen.

Den Geschlechtsverkehr übte ich aus, weil ich glaubte, dadurch von meiner Leiden- schaft befreit zu werden. Ist dies auch gelegent- lich gelungen, so kehrte der Drang doch stärker zurück, und ich habe viel unter wechselnden Stimmungen gelitten. Infolge aufreibender Tätigkeit wurde ich dann so hochgradig nervös, dass ich eine längere Erholung nötig hatte. Als ich vom Ur- laub zurückgekehrt war, drängten geschäftliche Sorgen den Trieb in den Hintergrund. Weiterhin suchte ich ihn hart- näckig zu bekämpfen; ichliess mir einen Spitz- bart stehen, damit ich nie in die Ver- suchung käme, als Dame auszugehen. Letzteres war immer mein Wunsch; stets war ich über- zeugt, dass ich eines schönen Tages alles Kämpfen aufgeben und nur meinem Drange leben würde. Endlich packte es mich so heftig, dass ich mich schliesslich an einen Arzt wandte.“

Soweit der ungefähre Wortlaut des Herrn A. Da er sich sehr zurückgezogen hält, allem Exzess und allem Auffallendem abgeneigt ist, da ferner seine Libido so gering ist, dass sie

12

sich nur dreimonatlich einmal äussert, so wurde ihm der Versuch angeraten, einige Zeit in Frauenkleidern zuzubringen, um seinen Zustand höchst quälender Unruhe zu beseitigen.

Nach langer Vorbereitung, nachdem er seine geschäftlichen Verpflichtungen geregelt und sich eine jener teuren, aber gut- sitzenden Perücken zugelegt hatte, fuhr er in eine ent- fernte Stadt und brachte, als Dame ge- kleidet, einige Wochen in einer Pension zu, deren Inhaberin von allem unterrich tet war. Seinen Aufenthalt dort mögen einige Tagebuchnotizen illustrieren:

„Nach dem Kaffee las ich erst die neuesten Ereignisse, wurde dann von Frau E. in die Geheimnisse des Wäschelegens eingeweiht, übernahm dann das Tischdecken und sonstige kleinere Wirtschaftsarbeiten.“

„Ich bedaure immer, dass ich vordem Schlafengehen die Kleider ablegen muss, darum schiebe ich die Zeit immer länger hinaus und empfinde jede Verlängerung als eine Wohltat, ist es mir doch beim Tragen der Kleider so wohl und mollig zu Mute.“

„Von heute kann ich nicht viel berichten. Im Laufe des Vormittags war ich tätig, oder vielmehr, ich suchte mich in der Küche durch allerlei Handreichungen beliebt zu machen. Nachmittag erhielt ich einige Briefe, deren Beantwortung längere Zeit in x\nspruch nahm. Zum Abend hatten wir meine Gönnerin Frau M. als Gast. Bei Speise und Trank, und vor allen Dingen bei fröhlichem Geplauder verging die Zeit wie im Flug; wir hatten uns alle um den Sofatisch im Wohn- zimmer gruppiert und konnten den reizenden Gesprächen und Gedichten Frau M.’s, welche eine nicht unbekannte Dichterin ist, lauschen. Ich knackte den Dam.en die Nüsse auf, und fühlte mich in deren Mitte so recht von Herzen wohl, so ganz wie es meinem Wesen entspricht. Ich kann mich nicht erinnern, jemals als Herr in einer Herrengesellschaft einen der- artig genussreichen Abend verlebt zu haben.“

13

„Nach dem Abendessen schrieb ich einige Briefe, bis Frau E. und Sch. zuriickkehrten, und für mich eine grosse Ueber- raschung mitbrachten, nämlich zwei Toiletten von einer Hof- dame der Prinzessin X. Beide Toiletten aus Seide, Atlas und Chiffon probierte ich nun und behielt das ausgeschnittene Ge- sellschaftskleid an, während Frau Sch. die Haustoilette an- zog. Frau E. als Russin gekleidet kredenzte uns noch Kaffee und wir verbrachten bei Musik, Gesang und Tanz herrliche Stunden, es war im Handumdrehen zwölf Uhr geworden. I n dem herrlichen Kostüm habe ich mich so recht wohl gefühlt, das feine Parfüm und das Rauschen der seidenen Unter- röcke war Musik in meinen Ohren, aber auch die Damen bewunderten meine ganze Erscheinung und vor allen Dingen den Hals und Nacken. Nie wollte ich lieber eine Dame sein, als heute Abend und darum habe ich mich auch mit so rechter Innigkeit ausgekleidet. Nachdem ich alle Flammen des Kronleuchters aufgedreht hatte, stellte ich mich mitten vor den Spiegel und streifte das herrliche Kleid ab, dann die Spitzenunterröcke sowie das Korsett. Nach jedem Gegenstand eine längere Pause, ein Blick auf das Genossene, ein Blick auf das Kommende. Meine Höschen bauschen sich zierlich um die Schenkel und ihre hellblauen Schleifchen zwischen den Spitzen herab. Nun fiel auch das Beinkleid und ich streifte mein Nachtgewand über. Kann es für mich noch etwas Schöneres geben? Wohl nicht!

Das Endergebnis dieser harmlosen Probe war für Herrn A. recht günstig. Die Depression war geschwunden, und er zehrte noch lange von der nachhaltigen Erinnerung des ver- lebten Glücks. Lusthandlungen irgend welcher Art sind während dessen nicht vorgefallen.

Der Eindruck, den er im Kostüm macht, ist verhältnis- mässig echt. Der bläuliche Schimmer der Rasur macht nur einen Schleier notwendig. Aufsehen hat er nirgends erlebt, selbst auf den Hauptstrassen der Gressstadt nicht. Höchstens, dass ihm „als Fräulein einige Herren nacbstiegen“, was ihm über die Massen fatal und widerwärtig war.

14

Seine erotische Psyche ist ganz minimal mit Masochis- mus versetzt. Darauf weist sein oben aus gedrückter Wunsch, das „Kammermädchen einer schönen Aristokratin“ sein zu dürfen. Ferner liest er ab und zu gern ein masochistisches Buch, besonders hat ihn die Novelle „Weiberbeute“ von L. Fraumann interessiert, welcher Autor in unserer Kasuistik als Fall III vertreten ist. Ausserdem aber ist ihm bei ein- gehender Exploration etwa beeinflussender Momente einge- fallen, er habe in der Schule, als die Passionsgeschichte vor- getragen wurde, Erektionen verspürt. Dies habe sich zuweilen wiederholt, wenn von einer Strafe oder Misshandlung ge- sprochen wurde.

Seine Traumbilder bezogen sich immer auf „hübsche Damen“. Pollutionen fanden in weiten Zwischenräumen statt, nach seiner Ansicht besonders, wenn er abends zuvor gut gegessen und getrunken hatte. Zwischen 22 und 24 Jahren traten sie häufiger auf, d. h. alle 3 bis 4 Wochen. Einmal erblickte er sich selber als Dame, und in dem Moment, als er sich den Schleier umbinden wollte, er- folgte die Pollution.

Zur Kohabitation bevorzugt er Weiber mit gut ent- wickelter Mamma, überhaupt gut genährte Frauen mit runden Formen. Etwas Vorliebe besteht für blondes Haar. „Aus- schweihmgen“ und Perversitäten sind ihm verhasst; doch macht er in coitu gern den succubus.

Obszöne Reden sind ihm ein Greuel; er hat indessen unter Freunden oft mit gehalten, um als „ganzer Kerl“ zu er- scheinen. Beim Anziehen von Kostümstücken erfolgt keine Erektion, nur zieht ein „molliges Gefühl“ durch seinen Körper. Sein Interesse richtet sich auf das ganze Kostüm, ohne Bevorzugung von Einzel- stücken der Toilette.

15

Fail !1.

Herr B., 35 Jahre alt. verheiratet. Zur Frage der De- generation lässt sich in Verwandtschaft und Vorfahrenreihe nichts ermitteln. Da er als Kind sehr schwächlich war und sämtliche Kinderkrankheiten durchmachte, so lernte er spät gehen, indessen zeitig sprechen und noch vor Schulbesuch lesen. War ängstlich und weinerlich. Masturbation vom 11. Jahre an. Nahm meist an Knabenspielen Teil,, hatte aber auch Gefallen an mädchenhaftem Benehmen. War geistig immer sehr rege und eignete sich eine umfassende Bildung an. Neigte zu Schwärmereien und dichterischer Stimmung.

Status praesens: Figur von mittlerer Grösse

Konturen mehr mager. Hände und Füsse klein. Muskulatur schwach entwickelt. Liebt Tanzen und Reiten. Haut weiss und rein. Eine Phimose besteht und macht zeitweilig Be- schwerden. Haupthaar im Ausgehn begriffen, Körperbehaarung und Bartwuchs mittelstark. Errötet und erblasst leicht. Kehl- kopf stark vortretend, Stimme tief. Ist lür wechselnde Stimmungen zugänglich, neigt zur Bequemlichkeit, betreibt nur die „Beschäftigungen, die ihm liegen“, da seine Verhältnisse dies gestatten. Trinkt ziemlich viel, ohne es immer gleich gut zu vertragen. Raucht 50 80, ja 100 Zigaretten täglich. Ge- dächtnis lässt nach, Phantasie üppig. Hat allerhand künstle- rische und wissenschaftliche Passionen. Möchte einen Beruf haben, der ihm das Reiten und das Tragen von Damenkleidern gleichzeitig gestattet.

Vitasexualis: xkus den Aufzeichnungen des Herrn B. entnehmen wir folgende Einzelheiten:

„Bereits in meiner zartesten Kindheit, noch lange vor dem schulpflichtigen Alter, äusserten sich boi mir die Vorzeichen meines seelischen Dualismus. Und zwar in der Weise, dass mich weibliche Kleidungsstücke (meist die Schüi'zen meiner Schwestern) unwiderstehlich verlockten, sie im Geheimen anzulegen. Später begann ich mich auch für Ohrringe zu interessieren, trotzdem mir bei andern Männern sowohl Ohrringe wie Schürzen (z. B. bei Handwerkern) höchst komisch vorkamen und ich überhaupt eine echt knabenhafte

16

Verachtung alles Weiblichen zur Schau trug, was mich nicht hinderte, eben dasselbe insgeheim für meine Person zu wünschen. Ich möchte behaupten, dass dieser Gegensatz nicht auf Verstellung und Scheinheiligkeit beruhte, sondern , die not- wendige Folge meines inneren Dualismus war. Nebenbei; ich war ein sehr aufgeweckter, begabter Junge, der bereits auf der Volksschule den Pegasus zu besteigen wagte.“

„Ungefähr in meinem 10. oder 11. Lebensjahre verspürte ich eines Tages, als ich nach Knabenart auf einer Wagen- deichsel turnte, plötzlich ein heftiges Lustgefühl und die Onanie war für mich erfunden. Seither wiederholte ich dies Experiment so oft wie möglich. Stets verband sich damit die Vorstellung vom Verkleiden. Diese und später ähnliche Manipulationen waren ursprünglich sozusagen rein reflektorisch, denn in meiner absoluten Un- kenntnis von allem, was Geschlechtsleben heisst, wusste ich lange Jahre nicht, dass ich damit eigentlich Onanie treibe.

Als Student empfing ich mehrfach Eindrücke, die mich weiter auf die Bahn des Puellismus, wie ich es nannte, hindrängten. So las ich von Achill in Mädchenkleidern, sah den ersten Damenimitator, und dergleichen mehr. Ohrringe bei Männern und Frauen, überhaupt die Damentoilette, übten in diesen Jahren auf mich eine immer stärkere Wirkung. Ich fand öfters Ge- legenheit, heimlich Damenkleider anzu- legen und versuchte, mir die Ohrläpp- chen zu durchstechen. In meiner Einfalt liess ich aber den frischgestochenen Wundkanal immer wieder zuheilen; ich schärfte daher die Haken der Ohrringe an und stiess mir solchergestalt die Ohrläppchen immer wieder von neuem durch, was ich wohl einige hundertmal getan haben muss. Weit entfernt, dies als Schmerz zu empfinden, verspürte ich viel- mehr stets ein derartiges Wollustgefühl dabei, dass ich mir sehr oft einzig deswegen die Ohrläppchen durchstach, auch wenn ich keine Ohrringe zur Hand hatte.“

„Uebrigens verliebte ich mich damals, gleich meinen Kameraden, nur etwas später als sie; als träumerische Seele stand ich meinen Kollegen in praktischer Hinsicht überhaupt

17

immer nach. Obwohl ich meine Geliebte (natürlich stets nur ein Mädchen) mehrfach wechselte, so blieb es doch immer bloss bei schüchterner Anbetung. Schon damals mischte sich in meine Liebesträume die stets wiederkehrende Vorstellung, die ich so gern auszuspinnen pflegte, dass ich nämlich gleich dem geliebten Mädchen auch Mädchenkleider, lange Haare und Ohrringe trage und wir beide gegenseitig alle diese schönen Sachen bewunderten. Ein Traum, der nun endlich in meinem 32. Jahre wenigstens für Augenblicke zur Wirklichkeit wurde.“

„Als ich mit 16 Jahren das Gymnasium verliess, fand ich nicht nur im Vaterhause mehr Gelegenheit zur Verklei- dung, ich konnte mir sogar nach und nach, natürlich heim- lich, eine komplette Damengarderobe be- schaffen, Kleider, Mieder, Unterröcke, Hemden, Höschen, Perücken, Schmuck, freilich hier in erster Reihe viele Paar Ohrgehänge. Vorerst behielt ich für Ohrringe die oben erwähnte Methode des Neueinstechens bei, die manchmal für mehrere Tage genügte. Endlich kam es dahin, dass die Oeff- nung nicht mehr zuheilte, und ich konnte die Ohrringe nun jederzeit einhängen. Anfangs mischte sich bei dieser Wahr- nehmung in meine Freude ein gut Teil Angst und Scham, weshalb ich mir lange Zeit noch die Löcher in den Ohrläpp- chen zu verstopfen pflegte, während ich sie jetzt gewisser- massen ostentativ zur Schau trage.“

„Ich verkehrte viel mit jungen Damen; am liebsten aber unterhielt ich mich mit ihnen von weiblichen Angelegenheiten, besonders von Kleidern und Schmuck, wobei es mir schmei-' chelte, wenn sie meine Olirlöcher bemerkten und mir manch- mal ihre Ohrringe hineinhängten. Dies ist für mich einer der höchsten Wollustmomente.“

„Den Koitus übte ich erst nach meinem 20. Jahre aus: dazu musste ich noch meine Schüchternheit und meine Ab- neigung gegen alles Körperlich-Sexuelle

H i r RC h fei rt, Die Transvestiten. 2

18

mit Alkohol betäuben. So blieb es auch in der Folge, bis ich ein Liebchen fand, bei dem ich manchmal und öfter auch nüchtern die nötige Anregung verspürte. Doch spielten auch hierbei Kleider und Ohrringe eine bedeutende Rolle, und mein Mädchen lernte so sehr den stimulierenden Einfluss der Ohr- ringe schätzen, dass sie mich jedesmal ante actum zum Ein- hängen der Ohrringe ermahnte resp. dies selber besorgte.

„Wenn ich nun auch seit Jahren permanent, (d. h. auch zur Männerkleidung) Mieder, Damenstrümpfe mit Strumpf- bändern, Armbänder, manchmal auch Damenhemd, Damenhös- chen, Halsband, event. (in der Fremde) sogar Ohrringe trage, so wuchs doch stets mein Wunsch, mich einmal öffentlich in Damenkleidern zu sehn und darin photographieren zu lassen. Mein Liebchen ermöglichte mir dies, und so besuchte ich mit ihr 1905 einen und 1906 drei Bälle im Damenkostüm; des- gleichen Hess ich mich mehrfach photo- graphieren, für michunvergessliche Stun- den. Bevor sienoch meine Frau wurde, was vor kurzem geschah, versprach sie mir freiwillig, sich meiner Eigenart in der Ehe nicht zu widersetzen, sondern sie nach Möglichkeit zu fördern. Sie hält auch ihr Wort. Sind wir ganz allein in unserer Behausung, lässt sie mich ihre Kleider an- ziehn, und auch sonst gibt sie mir täglich zum Schlafengehn Damenhemd, Nacht- jacke und Ohrringe.“

„Zu Männern habe ich nie Neigung ver- spürt; bloss als Dame verkleidet habe ich g e r n mit ihnen kokettiert und gespasst. Wenn ich für eine Dame gehalten wurde, schmeichelte es mir sehr. Unter meinen Stu- diengenossen habe ich einen, der mir seine Vorliebe für Ver- kleidung eingestand.“

Fall III.

Herr C., zwischen 40 und 50 Jahre alt, ausübender Künstler. Triebabweichungen oder neuropathische Erschei-

19

nungeii sind in der Familie nicht nachweisbar. Die Eltern wurden ziemlich alt; unter den Vorfahren heirateten keine Blutsverwandten. Ein Vetter soll femininen Eindruck machen.

Die Kindheitsentwicklung verlief ohne Besonderheiten, Merkwürdig ist, dass er bis zu den Schuljahren Mädchen- kleider trug, ja auch später noch in den Ferien (siehe unten). Die geistigen Fähigkeiten waren immer gut, Literatur und Kunst interessierte ihn stets am meisten. Erst mit 20 Jahren traten sexuelle Regungen auf; auch mutierte damals erst die Stimme in unerheblichem Masse. Bartwuchs mit 25 Jahren.

Status praesens; Figur schlank, mager; Kon- turen eckig. Hände und Füsse kräftig. Muskulatur normal entwickelt, aber weich. Schritte klein und fest mit sicht- barem Drehen in den Hüften; Haltung etwas vornüber ge- neigt. Hautfarbe rein, weiss und glatt. Kopfhaar sehr stark und lockig; Bartwuchs schwach. Schmerzempfindlichkeit ziem- lich gross. Blick ruhig. Gesichtsausdruck männlich. Kehl- kopf normal, Sprechstimme einfacher Tenor; Neigung zu Fistelstimme vorhanden.

Gefühlsleben weich, rührselig, mit wechselnder Stimmung. Liebt seine Ordnung, ist arbeitsam und anspruchslos, unbestän- dig, aber doch hartnäckig. Bildung der Tätigkeit entsprechend vertieft; Phantasie lebhaft. Plato, Wagner, Nietzsche inter- essieren ihn am meisten.

Vita sexual! s. Sein Geschlechtstrieb war immer auf das Weib gerichtet; und der Verkehr ist nur mit dem Weibe mög- lich. Der Gedanke an homosexuellen Verkehr ist ihm zu- wider. Er wünscht, als Weib geboren zu sein. Ging eine Ehe aus Neigung ein, ausserhalb deren er nie mit Frauen verkehrte. Eine Reihe von gesun- den und intelligenten Kindern ist ihr entsprossen. Er hält seinen Zustand für angeboren, ist vollständig zufrieden mit ihm, nur wünscht er sich ein entsprechendes ^lilieu. Er hat viel und scharf über seine An- lage nachgedacht, wie man aus einigen speziellen Aeusserungen sieht, die hier folgen:

2*

20

Mein Zustand ist so, dass ich mich unter strengster und gewissenhaftester Selbstheohachtung für einen mit absolut weiblichen Innenmitteln und Leidenschaften ausgestatteten Mann halte. *) Meine Sehnsucht beschränkt sich nicht auf das Frauenkostüm, sondern erstreckt sich auf ein absolutes Leben als Frau, mit allen Haupt - und Nebenerschei- nungen, natürlich ohne Paederastie. Und zwar ist diese Sehnsucht so intensiv und ununt erdrückbar in mir, dass mich die Un- erfüllbarkeit geradezu mit dem Leben in Konflikt bringt und mich nicht glücklich werden lässt, trotz aller in der Ehe und meiner Vaterschaft vorhan- denen Bedingungen zum Glück.

Mit Anlegung des Frauengewandes ändert sich mein ganzes Verhältnis zur Aussenwelt. Während dieser Meta- morphose, die sich bis auf die Haarfrisur erstreckt, habe ich einen vollständig anderen Blick in das Milieu; das Aussen- leben wirkt anders, feiner und zarter auf mich und provoziert mich zum Nachempfinden des Feinen und Zarten. Merkwür- digerweise ist diese Wirkung so universell, dass ich in der Verkleidung einen Abscheu vor dem Bier und dem Rauchen habe, trotzdem ich ein Liebhaber von beiden bin. Meine grösste Sehnsucht geht dahin, ungestört undunerkannt als Frau leben zu können, und das Schlimmste, was ich mir für meine Zukunft denke, ist die Unerfüllbarkeit dieser Sehnsucht.

Der ganze abartige Vorgang in meiner Psyche bewegt und erledigt sich in der demonstrativen Wahrnehmung des Weiblichen in mir. Ich bin fest überzeugt, dass die Sucht nach dem Frauengewand, viel- mehr nach dem absoluten Aeusseren der Frau, nichts anderes ist, als das Hinein- wollen meines weiblichen Teils in seine ur-

•) Wenn derartige Bemerkungen hier reproduziert werden, so soll das zunächst nur die Psychologie des Aussagenden illustrieren, ganz gleich, ob das kritische Gesamtergebnis diese Behauptungen annimmt oder verwirft.

21

s p r ü n g 1 1 c h e n Rechte und Formen. Es gibt Zeiten, wo ich eine direkte Abneigung gegen die männliche Kleidung habe, wo mir alles Männliche unmittelbar Ekel ver- ursacht. Ich fühle mich vergewaltigt und unfrei und flüchte gewissermassen in meinem eigenen Ich umher, um aus dem Zu- stand herauszukommen. Je mehr ich aber Macht über den Zustand gewinne und je mehr ich mich auf mich selbst zurückkommen fühle, desto intensiver treten meine männlichen Wahrnehmungen zurück und die weiblichen Ge- fühle hervor. Wenn ich dann alles vom ^lanne von mir werfe und das weibliche Aeussere anziehe, kann ich fast physisch wahrnehmen, wie das Falsche, Gewalttätige aus mir heraus flüch- tet und sich wie Nebel verteilt. Wenn ich dann vor dem Spiegel soviel Weibliches an mir erblicke, werde ich vollständig ruhig. Ich kann die Ruhe ganz deutlich wahrnehmen: der ganze Organismus funktioniert gleich mässiger, es ist wie ein Ausruhn bei grosser Müdig- keit, wie das Heimatsgefühl derganzen In- dividualität in der Rolle der Frau.

Hundertmal habe ich bestätigt gefunden, dass mich mein heller Morgenrock besonders zur Abfassung wissenschaftlicher Arbeiten disponiert, dass ein anderer blauer Morgenrock äusserst stark auf den Stil wirkt, dass ein Strassenkostüm mit weisser Zierschürze sowie eine sogenannte Kabinets- robe mich ohne weiteres aus der drückendsten Müdigkeit und Unlust heraus zu einer künstlerischen Arbeitsfähigkeit treibt, die ich in sonst gar keinem Zustand kenne.

Auffallend ist mir auch immer erschienen, dass ich mich vergebens gegen die Macht des Weiblichen in mir sträube. Ich bin oft so ärgerlich und verdrossen über diese Macht, dass ich mich schämen möchte und mich mit Gewalt zur Arbeit im männlichen Gewand zwingen will. Aber das ist mit einer geradezu verblüffenden Unmöglichkeit verbunden. Es kommt ja vor, dass ich in solchem Zwangszustand etwas leiste, aber es ist immer so, dass ich nachher daran herumändern muss. In meiner besten Robe und mitsorgfältig er

22

Haarfrisur bin ich fähig, so unaufhaltsam und mit solcher Spannkraft künstlerisch zu schaffen, dass es so leicht keiner glau- ben möchte, wenn er es nicht selber mit an- gesehn hat. Diese Fähigkeit entdeckte ich an mir, als ich aus bestimmtem Grunde eine Zeit lang nur Frauenkleider trug. Heute ist meine Fähigkeit zum Arbeiten direkt vom Frauen- kostüm abhängig. Ich bin felsenfest überzeugt, dass ich das denkbar Künstlerischste leisten könnte, wenn ich einmal in die Lage versetzt würde, ganz als Frau zu leben und durch nichts mehr an den Mann erinnert zu werden.

Meine ganzen Nebenneigungen sind auch direkt weiblich. Ich habe Lust zu allen Arbeiten, die direkt zur Domäne der Frau gehören, und zwar steht mir diese Arbeit vollständig zu Gesicht. Meine Frau bestätigt es mir täglich, und es kommt ja auch in unserm Haushalt deutlich zum Ausdruck, indem ich mich inKüche undWirtschaft von meiner Berufsmüdigkeit erhole und mich ablenke. Das alles ist übrigens bei mir ein so gewohnter, alltäglicher, ich kann sagen Normalzustand, dass ich erst im Verlaufe der Explo- ration zu dem Auffälligen komme, das in dieser Rolle liegt.

Zu den besonderen Fragen kann ich noch folgendes aus sagen. Nach Bestätigungen des gleichen Zustandes bei an- deren Personen oder in Büchern habe ich nie gesucht; ich habe überhaupt nicht daran gedacht, da mir alles an mir selbstverständlich erschien, wenn auch von der Regel ab- weichend.

Laxe Lektüre mag ich grundsätzlich nicht; ich suche auch in meinem Nebenzustand, wie ich das Feminine in mir auffassen will, keine sexuelle, wenigstens keine physisch sexu- elle Befriedigung. An solche Wirkungen denke ich nicht, sondern ziehe das Frauenkleid genau so an. wie der Mann das männliche Habit. Der einzige Unterschied besteht nur darin, dass ich an mir als Frau einen äusserst feinen, ästhetischen Ge- nuss habe, aus dem sich ja auch die Po- tenzierung meiner Kunstfertigkeit her- leitet. Ich habe ein sehr ausgeprägtes Geschmacksgefühl

23

dem Frauenkleid gegenüber. Sowohl in der Wahl der Farbe wie im Schnitt, überhaupt in der spezifischen Wahl eines Kostümmusters für eine bestimmte Persönlichkeit, im Stoff- unterschied, Decor usw. bis hinüber zur Haltung und dem Faltenwurf ist mein Geschmack absolut weiblich und als solcher immer zutreffend.

Ich habe früher in Bühnenkreisen sehr oft anerkannte Erfolge mit meinem Geschmack gehabt und wurde von Damen gern um meine Ansicht gefragt. Wenn meine Mittel es mir erlaubten, würde ich als Frau einen fulminanten Luxus treiben, im Gegensatz zu meiner ^lännlichkeit, wo mir auch das geringste Decor zuwider ist. Meine persönlichen Ansprüche erstrecken sich auch auf Dessous. Am sympathisch- sten sind mir weisse Röcke mit Festons oder feiner gross- maschiger Spitze.

Einer Perücke bedarf ich nicht. Ich habe sehr schweres, massiges und gelocktes Haar, dass ich nie kurz schneiden lasse, sondern stets so halte, dass ich es befestigen und da- rauf eine Flechtenfrisur anbringen kann. Meine weiblichen Bewegungen sind ziemlich harmonisch, wenn auch nicht ele- gant. Letzteres Manko kommt auf Konto meines männlichen Oberkörpers. Korsett trage ich nur bei der Metamorphose. Ueberhaupt ist meine weibliche Umklei- dung stets konsequent, ich bin sonst nicht zufrieden und fühle immer, dass etwas fehlt.

Zu der Frage, warum ich bis in die erste Schulzeit hin- ein Mädchenkleider tragen musste oder tragen durfte, kann ich noch folgende nähere Angaben machen: Obwohl ich keine positiven Unterlagen dafür habe, nehme ich an, dass mein Grossvater oder meine Grossmutter irgendwie abartig waren; denn sonst könnte ich mir garnicht erklären, was sie veranlasste, mich so lange in Mädchenkleidern zu belassen. Mir, dem Kinde fiel das nicht auf, weil ich es nicht anders ge- wohnt war; ausserdem wohnten meine Grosseltern abseits von der Kultur auf einem alten Erbhof, wo sie eine Hauderei mit Landwirtschaft betrieben. Ich erinnere mich, dass ich

24

für das Hofpereonai nur immer die „Hanne“ war; noch später rief mich der Grossvater mit diesem Namen. Meiner An- sicht nach kann aber an tliesem, von Kind- heit an gewohnten Zustande meine Femi- ninität nicht liegen. Sonst hätte ich sie bei meinem peinlich proppern, gegen alles Bedenkliche protestie- renden Zustand längst überwunden, sogar als widerlich empfunden. Der Gedanke, dass ein wirklicher Mann Frauen- kleider trägt, ist mir an sich direkt unangenehm. Darum denke ich, muss die Leidenschaft von Vorfahren stammen, die analog beanlagt waren.

Mit Frauen habe ich ante matrimonium nie verkehrt; durch einen Arzt wurde mir bestätigt, dass ich mit 20 Jahren die Geschlechtsreife erlangt hatte. Pollutionen erfolgten in den üblichen Zwischenräumen.

Ich habe eine sehr schwere, entbehrungsreiche Jugend und Studienzeit durchlebt und wurde auf das „Ochsen“ geradezu trainiert. Sehr deutlich erinnere ich mich noch meines Mies- gefühls, als ich von den Grosseltern abgeholt, zu einem Oheim „Professor“ in Erziehung gegeben wurde, und nun das Tragen der Mädchenkleider, das sich in Intervallen bis ins 13. Jahr erhalten hatte, ganz aufhörte.

Dass ich in coitu gern succubus sein möchte, ist mir allerdings selbst schon aufgefallen. Doch habe ich es nie prak- tisch ausgeübt; es ist etwas, dessen Unebenheit mir zum Be- wusstsein kommt, also im Gegensatz zum Tragen des Frauen- kleides, und in solchen Fällen lege ich mir die denkbarsten selbsterzieherischen Schrauben an. Andererseits muss ich sagen, dass ich mich als Frau nur ganz konsequent denken kann. Ich habe sogar das starke Begehren nach einer Schwangerschaft gehabt, und konnte mich nur durch die Unebenheit des Gedankens überzeugen, dass das „ver- rück t“ sei.

Meine Potenz ist nicht abhängig von meiner Weiblich- keit oder dem Einfluss derselben auf meine männliche Leiden- schaft. Auf die Idee der Kompletierung

25

meines idealen Zustandes durch einen Mann bin ich noch nie gekommen.

Einige Monate nach der Exploration hatte Herr C. ein psychisches Erlebnis, das vielleicht in unbewusstem Zu- sammenhänge mit der Frage des Explorators stand, ob noch nie (wie in mehreren analogen Fällen) der vorübergehende Wunsch nach Komplementierung seines idealen Weibzustandes durch einen männlichen Partner aufgetaucht sei. Herr C., der in dieser Zeit durch geschäftliche Umstände ziemlich irritiert war, berichtet darüber ungefähr folgendermassen;

„Ich stand vor einem Gemälde, das ein in absolut gegen- sätzlichen Charakteren ausgeprägtes Liebespaar darstellte. Der Mann ein Hüne, und die Frau mir zum Verwechseln ähn- lich. Das Interieur des Bildes deutete die Uebermacht des Männlichen über das Weibliche an. Auf den Gesichtern lag ausgedrückt, bei dem einen das Empfangen des höchsten sinnlichen Glücks, beim andern das Selbstbe- wusstsein eigener Machtfülle und das Umsetzen dieses Ge- fühls in Lust. Seit dem Anblick dieses Bildes befinde ich mich in einer gewissen L^nruhe; ich glaube fast, ich sehne mich nach dem ^lann, und zwar nach einer seelisch und kör- perlich starken Persönlichkeit. Diese Voistellung hat bereits nächtliche Traumgestalt gewonnen und mich empfindlich auf- gestört. Merkwürdig ist auch, dass mir meine Frau jetzt „männlich" vorkommt. Vielleicht trägt dazu bei, dass sie seit einiger Zeit wegen schmerzhafter Be- gleiterscheinungen auf die Kohabitation verzichtet, ohne dass sie im mindesten unter der Abstinenz leidet. Je mehr ich da- gegen abstinent zu leben gezwungen bin, um so mehr erkenne ich in dem tätigen und zuweilen hartnäckigen Charakter meiner Frau, in ihren etwas eckigen Formen das männliche Element.

Herr C. litt infolge Heses verstärkten Zwiespaltes und sonstiger nervös machender Angelegenheiten an einer ziem- lichen Depression. Doch ging diese nach aufklärender Aus- sprache bald vorüber, und die beunruhigende Sehn- sucht nach dem Manne entschwand wieder völlig aus seinem Bewusstsein.

26

Fall IV.

Herr D., Kaufmann, in den Dreissigern. Triebab- weichungen oder Zeichen von Degeneration in der Verwand- schaft sind nicht nachweisbar. Die Kindheitsentwdcklung ver- lief normal; nur wmrde das Sprechen etwas spät erlernt. Beim Schulunterricht interessierte ihn besonders Zeichnen und Geographie. Geschlechtsreife mit 141Z Jahren, Stimm- wechsel mit 16, Bartwuchs mit 20, erste geschlecht- liche Regung in den Zw'anzigern.

Status praesens; Figur gross, schlank, verhält- nismässig mager. Hände und Füsse von mittlerer Grösse. Muskulatur schwach entwickelt; ausser zu Fusstouren besteht keine sonderliche Neigung zum Sport. Schritte klein, leichtes Drehen in den Hüften. Haut glatt, weiss. Haupthaar von mittlerer Stärke, Bartwuchs unbedeutend, geringe Körperbe- haarung. Schmerzempfindlichkeit,, ziemlich gross, errötet leicht. Gesamteindruck des Gesichts absolut männ- lich. Kehlkopf wenig hervor tretend; Stimme laut, Mittel- lage, Neigung zu Fisteltönen.

Besitzt ein recht gleichmässiges Temperament, ist ord- nungsliebend, neigt aber zur Bequemlichkeit, raucht gar nicht, trinkt sehr mässig. Gedächtnis gut, Phantasie lebhaft; sein Ideal aus der Geschichte ist Schiller. Möchte Konfektionär oder Damenfriseur sein.

Vita sexualis: Die spät erwachende

Libido war immer auf das Weib gerichtet. Hat nur koitiert und sich nie homosexuell be- tätigt ; dennoch erklärt er den Verkehr mit beiden Ge- schlechtern für möglich; er möchte einen Mann lieben oder von einem solchen geliebt werden, der so ganz den „Typus Mann“ vertritt. Der Geschlechtstrieb soll bis zum 26. Jahre völlig beherrschbar gewesen und Masturbation nie getrieben worden sein. Er hat geheiratet und führt ein „ziemlich be- friedigendes“ Eheleben. Hat einen Knaben, an dem bisher nichts Abnormes bemerkt wurde.

Aus seinen vielfachen biographischen Niederschriften ent- nehmen wir noch folgende Einzelheiten;

27

„Es war zur Zeit meiner Konfirmation, als ich auf einem Familienfest etwas hörte, das mein ganzes Denken gefangen nahm. Eine Freundin meiner Mutter erzählte uns, ihr Sohn, ein junger Seminarist, sei eines Tages in Damenkleidern an- gekommen und so unkenntlich gewesen, dass sowohl sie als ihr Gatte längere Zeit mit ihm sprachen, ohne zu ahnen, wer er sei.“

„Die Vorstellung von dieser Szene reizte mich so, dass ich meine Mutter bestürmte, mir ein Aehnliches zu erlauben. Allein, es wurde nichts daraus. Als jedoch bald darauf meine Eltern Sonntags ausgingen und ich das Haus zu hüten hatte, zog ich mir heimlich das cremefarbene Damastkleid meiner Mutter an. Bei dieser Be- schäftigung bekam ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Erektion. Ich hatte ein naives Gefühl, dies sei eine „Sünde“ und unterliess in der Folge das Anziehn der Kleider. Dafür legte ich indessen öfters heimlich Schmuck und Handschuhe an und sammelte Ausschnitte aus Modejournalen.“

„Eines Tages las ich von einem amerikanischen Offizier, der die entzückendsten Damentoiletten der ganzen Stadt be- sässe und sich nur im Dienst als Mann bewegte. Ein ander- mal stand in der Zeitung, das Tragen von Schmucksachen nehme in Berlin überhand; man könne Boutons und Dameuringe von erlesenem Geschmack sogar bei Herren wahrnehmen. In einem andern Blatt beklagte sich eine Dame über die Mode der Arm- bänder bei der ^Männerwelt; sie beschrieb sogar ein wunder- volles Perlenhalsband, das sie am Halse eines Mannes ge- sehen hätte; ferner trüge ein Herr eine reizende Muffe, um seine zarten Hände vor der Kälte zu schützen. Solche Notizen w'aren damals geeignet, mein ganzes Sein in fiebernde Erregung zu ver- setzen, wie sie auch heute noch unaus- löschlich fest in mir haften.“

„Später wurde ich ein begeistertes Mitglied des christ- lichen .Tünglingsvereins und schlug mir im Verkehr mit Gleich- altrigen solche Phantasien gewaltsam aus dem Sinn.“

„Im Alter von etwa 21 Jahren lernte ich meine jetzige Frau kennen. Nie hatte ich vordem zu einem lebenden weih-

28

liehen Wesen eine Zuneigung verspürt; fasste aber, ganz im Gegensatz zu meinem sonst barschen Wesen, augenblicklich eine herzliche Liebe zu ihr, sodass der Wunsch aufstieg, ver- eint mit ihr durchs Leben zu gehn. Aber, teils aus Gründen meines (ziemlich entschieden zur Schau getragenen) Christen- tums, teils wegen des Keuschheitsgelübdes, bewahrte ich meiner Braut gegenüber sechs Jahre hindurch strengste Zurück- haltung; ja noch mehr, mir kamgarnicht der Gedanke, meiner Geliebten je so etwas anzubieten.“

.,Wir vermählten uns endlich. Der Koitus, der mir voll- ständig neu war, gelang während der ersten drei Wochen nicht, sodass ich einen mir wohlgesinnten Pfarrer aufsuchte, um seinen Rat in der Angelegenheit zu erfragen. Er erklärte mir indessen, er selbst sei Junggeselle und wisse mit den Dingen nicht Bescheid; ich müsse zu einem Arzt gehen.“ „Wir waren, meine Frau und ich, sehr betrübt, dass unsere allabendlichen Bemühungen, die oft die halbe Nacht beanspruchten, von so negativem Erfolge gekrönt wurden. Da blätterten wir eines Abends in Modebildern umher und besprachen aufs eifrigste die Kostümfrage, die ja für jede Frau eine wichtige Sorge ist. Ich fühlte mich hierbei seltsam angeregt, und lenkte meine Gedanken unwillkürlich auch während des folgenden Koitusversuches auf den Gegenstand meiner ehemaligen Lieblingsträumerei. Dabei fühlte ich end- lich eine heftige Ejakulation.“

..Damals begann ich zu ahnen, wie es um mich steht. Heute weiss ich es: ich weiss, dass mir nicht körperliche Reize, nicht der Liebeskuss die erste Ejakulation zuzogen, sondern lediglich der intensive W^’unsch, W’’eib zu sein, weiblich zu fühlen und zu denken. Von Freunden hörte ich es hunderte von Malen, sie brauchten nur ein reizvolles Geschöpf oder auch nur einen weiblichen Arm oder Busen zu sehn, um sofort ..hingerissen“ zu sein. Nichts von alledem bei mir.“

..Seit dieser Zeit nun kann ich keinen Beischlaf aus- üben, ohne mich selbst dabei als Weib vorzustellen. Wenn meine Frau in coitu ihre Nägel in meine Ohrläppchen presst und so in mir das Gefühl hervorruft, als besässe ich Ohr-

29

gehänge, oder wenn sie ihre Arme um meine Taille legt, und mich immer stärker an sich drückt, sodass ich das Gefühl habe, stark geschnürt zu sein: dann bleibt sicher die Erektion nicht aus.“

„Während ich sonst also meiner Neigung verhältnis- mässig wenig nachgebe, lebe und webe ich als Weib haupt- sächlich in der Phantasie während des Koitus. Ich sehe mich in den mannigfachsten Toiletten, angefangen vom Pagen- kostüm, das mir noch als das unantastbarste, immerhin doch noch den Mann darstellende Kleid, erscheint. Als ein Page mit allen möglichen, mehr ins Weibliche spielenden Nuancen, möchte ich Konzerte, Theater und erste Restaurants be- suchen. Ich denke mir einen Gehrock ä la Roccocco mit Spitzenmanschetten, kurzen, seidenen Beinkleidern, durch- brochenen Strümpfen und feinen Schuhen; dazu kostbares Ohr-, Arm- und Fingergeschmeide zum Ausputz des Ganzen. So für die Oeffentlichkeit.

..Fürs Haus, sogar zum Besuch bei Be- kannten, möchte ich ganz Weib sein und begehre richtige Haus-, Strassen-, Diner- und Ballkleidung, kurz: alles, was zum Staat einer richtigen Dame gehört.“

„Mein Empfinden erscheint mir durchaus weiblich. Rauchen, Trinken, Kartenspielen u. dgl. sind mir verhasst. Ich mag keine schmutzige Lektüre, keine gemeinen Redens- arten und geniesse den Ruf, überhaupt kein richtiger Mann zu sein, da man mich riesig naiv findet und zweitens sich hüten muss, die unter Herren üblichen „Zotereien“ in meiner Gegenwart vorzubringen. Im Geschäft heisst’s allge- mein: an Ihrem Block gehts am alleranständigsten zu, da Sie jede zweideutige Bemerkung gleich rügen.“

„Mein sexueller Wunsch ist nicht das Weibsein des Damenimitators, sondern mein Ideal wäre, ein physiologisch echtes Lieba<;leben als Weib mit einem Manne zusammen zu führen. Ein Herr, der mich öfter auf der Strassenbahn fixierte, spielt hier eine bedeutsame Rolle in meinen Gedanken. Sein Aeusseres faszinierte mich. Er war von meiner Figur, ■? elegant wde ein ehemaliger Offizier, seine feine Kleidung gut

30

anschliessend, sein Schnurrbart wohlgepflegt, sein keineswegs zu grosses Auge voller Ausdruck.“

„Vor einiger Zeit klärte mich ein Freund über die Art des homosexuellen Empfindens auf. Ich gestehe offen, die Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, die sich da meiner Phantasie eröffnete, hat etwas so bezauberndes, wie ich mir einen heterosexuellen Verkehr garnicht vorstellen könnte. (Hoc scribens jam sentio erectionem penis mei antea flaccidi.') Mir kommt es vor, als würde mich keine sexuelle Handlung mit einem Manne ekeln. Viros nonnunquam mentulam in os feminarum immittere, quasi ad abluendum, saepius mihi re- latum est. Ego libenter os meum praebere veilem, si amator aliquis id me posceret. Equidem femora latissime aperirem, si amicus libidine vera permotus me futuere vellet. Manch- mal schon träumte ich so, und es war herrlich, „sein Weib“ zu sein. Er liebte mich, gab mir, woran mein Herz hängt und machte mich zum ersten Mal in meinem Leben zu einem glücklichen Geschöpf. Würde er, wie es manche Männer mit ihren Weibern zu tun pflegen, mich im Zimmer nackt um- hergehn lassen, auch dies würde ich ihm zu Gefallen tun; nur müssten meine Füsse in zierlichen Stiefeletten stecken, und sonst in jeder Hinsicht das Dekorum einerDame gewahrt werde n.“

Diese letztere Stelle schrieb Herr D. unter der momen- tanen Wirkung einer erotischen Phantasie. Später flau- ten diese Ideen bei ihm völlig ab.

Nachzutragen wäre noch, dass er immer ein goldenes Armband, zeitweilig auch ein Korsett trägt. Nach seinen Handarbeiten gefragt, gibt er an, soeben seien fertig geworden „3 ganze Hemd- passen mit Achselstücken und 2Paar Bein- kleidansätze aus feinem Garn.“

31

Fall V

Herr E., im Kunstgewerbe tätig, ca. 40 Jahre alt, stammt von gesunden Eltern. Abweichende Anlagen oder De- generationszeichen sind in der Verwandtschaft nicht nach' zuweisen. Die körperliche Kindheitsentwicklung verlief nor- mal. Mädchen gegenüber war er schon in frühester Jugend ungemein schüchtern; hatte zu Mädchenspielen oder Mädchen- beschäftigung keine bemerkbare Neigung. Im Hause fand strenge Erziehung statt; von geschlechtlicher Verführung war keine Eede. In der Schule zeigte er sich als befähigter und guter Schüler, hielt sich aber von den Kameraden zurück, weil ihm deren Gebaren wenig zusagte. Geschlechtsreife trat im 15. Jahre ein, nicht sehr bedeutender Stimmwechsel mit 17 Jahren, Bartwuchs bis zum 25. Jahre sehr spärlich, nach- her etwas stärker.

Status praesens: Breite der Hüften etwas ge- ringer, als die der Schultern. Körperlinien rundlich, leichter Panniculus adiposus. Oberarme und Oberschenkel mehr ge- rundet als abgeflacht. Füsse von mittlerer Grösse, Hände von der Arbeit etwas mitgenommen. Muskeln nicht beson- ders kräftig entwickelt, hat für Gymnastik wenig Interesse. Schritt fest, beim Gehen leichtes Drehen in den Hüften. Rumpf wird gerade gehalten. Hautfarbe weiss, Gesicht ge- bräunt, sonst glatt. Haupthaar kräftig entwickelt, schlicht; Brust frei von Behaarung, Unterschenkel behaart, Bart- wuchs mässig. Errötet und erblasst leicht. Adamsapfel tritt wenig hervor; Stimme in der Mittellage, Fistelstimme durch Hebung ausgebildet.

Bei starken Gemütseindrücken Neigung zum Weinen, die aber meist unterdrückbar ist. Gedächtnis und Aufmerksam- keit gut, Phantasie rege. Fähigkeit und Neigung für lite- rarische und künstlerische Aufgaben. Weder Abneigung, noch Drang zu weiblicher Beschäftigung. Sport interessiert gar- nicht, dagegen Mode, Theater, Pferde. Hunde. Liest viel, Romane und Wissenschaftliches.

Vita sexualis: Im Alter von 4 Jahren und später versuchte er zuerst, das Kleid

32

seiner Schwester anzuziehn, und war sehr ge- niert, wenn man diese Versuche bemerkte. Er setzte sie dann heimlich fort, mit dem deutlichen AVunsche. lieber ein Mädchen sein zu wollen. Dasselbe Gefühl trieb ihn dazu, sich unter Mädchen aufzuhalten und hauptsächlich nur mit ihnen zu spielen. Mit dem vierzehnten Jahre trat der Drang nach der Frauen- kleidung deutlicher ins Bewusstsein. Vom 17. 19. Jahre verspürte er weniger davon, was er auf die starke Arbeitstätigkeit in dieser Periode schiebt. Dann be- gann es von neuem bei Gelegenheit von privaten Bühnen- spielen, um sich vom 30. Jahre an zu verstärken. In der Karnevalszeit hat er regelmässig seinen Schnurrbart ge- opfert, um kostümrecht zu sein, und stets nur mit Be- dauern die Frauenkleidung wieder abge- legt. Lange Strümpfe und Korsett trägt er fast immer unter seiner Männerklei- dung. ln dieser raucht er gern, was er im Frauen- kostüm nie tut. Das Kostüm wirkt auf die Arbeitslaune und allgemeine Stimmung anregend, doch ist die Potenz nicht davon abhängig. Der Trieb war immer auf den coitus cum femina gerichtet; erste Betätigung Anfang der Zwanziger. In actu ist er gern succu- b u s. Triebstärke: durchschnittlich zwei Ejakulationen in der Woche. Von Homosexualität ist keine

Spur vorhanden.

Im folgenden geben wir einige biographische Aufzeich- nungen des Herrn E. fast ohne stilistische Aenderuiig wieder, weil sie einen guten Einblick in die Irrungen und Wirrungen gewähren, die das Liebesieben bei dieser Anlage zeitigen kann. Man sieht, wie „normal“ diese Männer fühlen, trotzdem sie das weibliche Kostüm bis in die subtilsten Einzelheiten am eigenen Leibe zu tragen begehren. Gleichzeitig bilden die er- zählten Vorgänge, von deren W’ahrheitstreue wir uns durch Photographieen etc. überzeugt haben, einen Beitrag zur Psychologie einer Frau, die sich wie ein Pro- teus in alle Situationen zu finden und diese zu eigenem Nutz und Frommen geschickt auszubeuten versteht:

33

„In grosser 'Vutregung sass die ganze Familie heim Mittagstisch; meine Schwester, weil abends ihr erster Ball sein sollte, ich. ein lünizehnjähriger Sekundaner, weil ich zu dieser Gelegenheit als Kunstschütze auftreten sollte und meine Mutter, weil alle Vorarbeiten aui ihren Schultern ruhten. Ge- gessen wurde kaum etwas, denn Mutter und Schwester dachten an ihre Toiletten und ich wollte meine beiden Gewehre noch nachsehen und putzen, hatte auch noch meine Schularbeiten zu machen.

Mein Schwesterlein musste aber doch zur Küche hin- unter, um Kompott herauf zuholen, da ein schriller Auf- schrei, dem sekimdenianges, dumpfes Gepolter folgte, das arme Mädchen war oben ausgerutscht und die ganze Treppe hinuntergefallen. Blutüberströmt schleppte man sie wieder herauf und bettete sie auf dem Sofa. Schlimm war zum Glück die Verletzung nicht, das Unglück war aber doch schwer zu ertragen, denn zwei Zähne fehlten im Prachtgebiss und furcht- bar schwoll die verletzte Oberlippe an, mit dem Ball war es diesmal nichts.

Nun lag sie auf dem Sofa und ächzte und schrie, teils wegen der Kieferschmerzen, teils wegen der Seelenpein, dass alle ihre Freundinnen nun abends glänzen würden, sie aber mit einer Kompresse auf dem Plappermäulchen zu Hause liegen müsse. Mütterchen allerdings, optimistisch wie alle Mütter, hoffte noch auf eine Wendung zum Bessern und kühlte und strich ohne Ermüden, es half aber nichts, die Zähne blieben fort und die Lippen schwollen mehr und mehr. Dabei lag der Ballstaat im Schlafzimmer auf den Betten ausgebreitet und jauchzte förmlich seinen Herrinnen entgegen.

Noch war der laute Jammer nicht zur stillen Ergeben- heit abgeflaut, da erschien ein befreundeter Herr Vom Ball- Komitee und hatte mit meiner Mutter eine lange Unterredung, deren Gegenstand ich war. Wieso, sollte ich gleich darauf erfahren; mein Mütterchen kam nämlich ungewohnt freund- lich zu mir, der ich meine Pechen-Exempel machte und fragte mich kurz und bündig, ob ich Lust hätte, als Mädchen ver- kleidet heute Abend meine Schiesskünste zu zeigen. Das Pro- gramm sei leider insofern verdruckt worden, als an Stelle

HirscliTeld. Dio Transvestiten. ^ 3

34

meineö ehrlichen männlichen Vornamens sich ein weiblicher eingeschlichen habe, neugedruckt könne nicht mehr werden, also entweder oder.

Im Innersten meiner Seele war nach der ersten Ueber- raschung ein namenloser Jubel. Ich als Mäd- chen verkleidet, in Mädchen-Röcken? So- lange ich zu denken vermochte, war das mein verborgener, heisser Wunsch ge- wesen, um so heisser, je unerfüllbarer er mir erschien. Im Alter von fünf Jahren, noch ehe ich zur Schule kam, ehe ich eine Ahnung vom anderen Geschlecht hatte, machte ich den Gang der Mädchen nach, das Wiegen in den Hüften und hoffte, die Leute würden glauben, ich sei ein Mädchen in Knabenhosen. Auch das Kleidchen meiner Schwester hatte ich mir heimlich angezogen und mein Kinder- herz pochte vor Freude, dass es sich um meine Glieder schmiegte. Als Quintaner hätte ich gern mein ganzes Leben dahingegeben, wenn ich nur drei Tage lang ein Mädchen sein dürfte, und jetzt sollte sich mein Herzenswunsch so plötz- lich erfüllen?

'Meine Mutter sah den Kampf in meinen Zügen, fasste es aber anders auf, legte die Hand auf meine Schulter und sagte: Lieber Junge, Du brauchst Dich nicht zu schämen oder zu ängstigen, wir ziehen Dir das Ballkleid von Deiner Schwester an, Du benimmst Dich recht manierlich und gleich nach Deinem Auftreten holt Dich Minna ab und bringt Dich nach Hause, dann bist Du wieder mein lieber Junge und kein Mensch merkt etwas! Und so redete sie auf mich ein, denn sie glaubte, auch ich würde es wie andere Jungen meines Alters als schwerste Be- leidigung empfinden, in Mädchenkleider gesteckt zu werden.

Wie glücklich es in luir war, das mochte ich meiner Mutter doch nicht zeigen, ich schämte mich dessen und tat sehr geknickt, so dass mir allerlei Vergünstigungen zugesagt werden mussten, um meine Stimmung zu heben. Unter Anderem schlug ich als geriebener Geschäftsmann

35

Apfelkuchen mit Sahne zum Kaffee heraus. Dann aber ging es an die Toilette.

Erstlich wurde ich gründlich mit Wasser und Seife ge- säubert, denn am Hals hatte ich einen ewigen dunklen Streifen, vom Kragen herrührend. Dann zog man mir ein Spitzenhemdchen an, dessen Berührung mir das Herrlichste auf Erden dünkte. Etwas Mühe machte das Korsett, die Spitzenhöschen sassen aber wie ange- gossen und, 0 Wonne, ein kurzes weisses Unterröckchen flog dann über meinen Kopf und wurde kunstgerecht um die Taille zugebunden. Noch ein Spitzen-Unterrock von blenden- dem Weiss kam darüber, dann musste ich mich setzen und mein Haar wurde als Tituskopf zu Löckchen gebrannt. Heisses Erröten lohte über mein Gesicht, als man mir einen dis- kreten kleinen Busen ausstopfte und bald stand ich fertig da und kam mir wie eine ^lärchenprinzessin vor.

Mein Mütterchen, die Schneiderin, unsere Küchenfee Minna, alle drei rutschten um mich herum, zupften hier, strichen dort und stichelten an mir herum; denn so genau wollte das Kleid doch nicht passen. Mich übermannte bald die Scham, meinen Angehörigen so gegen- über zu stehen, bald aber durchtobte mich ein -Jubel, dass endlich einmal mein sehn- lichster Wunsch erfüllt war. Zwischen diesen beiden Gefühlen schwankte ich hin und her.

Als ich versuchsweise die Röcke etwas hob und meine durchbrochenen weissen Strümpfe imd die zierlichen Atlas- schuhe sah, da war mir. als sei ich nie anders gegangen, als komme mir alles das zu. Knabenhosen erschienen mir greulich und ekelhaft.

Nur mit halber Aufmerksamkeit hörte ich auf mein Mütterchen, das mir noch Verhaltungsmassregeln gab; wie aus weiter Ferne schlug die Stimme meiner Schwester an mein Ohr, die mir nachrief: Pfui, schäme Dich doch, Du bist ja gar kein Junge, Du bist blos ein Mädchen! Der Kummer, auf meinem Körper ihr geliebtes Ballkleid sehen zu müssen, veranlasste sie, ihr eigenes Geschlecht so minderwertig hin- zustellen. — Dann ging Minna mit mir ab und brachte mich

3*

36

zu Wilkes, die mich in Obhut nehmen wollten, da meine Mutter nun ebenfalls dem Fest fernblieb.

Ich will nur kurz erwähnen, dass W’’ilkes, Vater, Mutter und Tochter, mich erst etwas zweifelnd aufnahmen, dann sich aber am liebsten totgelacht hätten, so aussergewohnlich er- schien ihnen der Scherz.

Als wir in den Festsaal traten, war alle meine anfäng- liche Angst von mir gewichen, fest und selbstbewusst schritt ich an Erna Wilkes Seite durch den Saal und trug meine Kleider, als hätte ich nie in Knabenhosen gesteckt. Wie leicht und herrlich ging es sich in den steif gebügelten Röcken, es war mir, als schwebte ich dahin! WTe im Fluge eilten die Minuten, und bald stand ich in meinem weissen Kleid auf der Bühne und zog mit fester Hand mein Gewehr an die Schulter. Schuss auf Schuss sass mit einer Sicherheit, wie ich sie noch niemals erreicht hatte, jedenfalls infolge der Aufregung, die schon von jeher meine Hand nicht zittern, sondern fester werden liess. In meinen Bewegungen hatte ich etwas eckiges, ungraziöses; das findet man ja bei Backfischen sehr häufig; es fiel darum bei mir nicht im Entferntesten auf. Originell wirkte es aber, als ich unter grossem Beifall abtreten wollte, dass ich nicht den üblichen Knicks machte, sondern mit präsentiertem Ge- wehr stramm stand, bis der Vorhang endgiltig herunter war.

Minnas Versuche, mich mitzubekommen, wurden mit Ent- rüstung abgeschlagen, ich spielte meine Rolle als Balldame weiter und habe manche recht komische Bemerkung gehört. Ein alter Major kniff in meine Wrangen und sagte: Sag mal, mein Töchterchen, Du schiessest so brillant, warum bist Du kein Junge geworden? Dich hätten wir brauchen können! Der grösste Teil der Festteilnehmer ahnte garnicht, dass ich ein Junge war; ich hörte und sah darum mancherlei, was Knaben meines Alters sonst nicht erfahren. Wenn auch mein Tanzen etwas holprig ausfiel, still gesessen habe ich nie, sondern flog von einem Arm in den andern, mit wehenden Röcken drehte ich mich so gut es ging.

3'

Am folgenden Tage durfte ich noch einmal mein Ball- kleid anziehen, es ging zum Photographen. [Das Bild hat uns Vorgelegen.]

Einige Monate später hatte ich in D. meine erste Stellung angetreten und hauste in einem hübsch möblierten Zimmer. Meine Photographie als Mädchen schmückte meinen Tisch, denn eben hatte sie meine Schwester mir in einem Briefe nachgesandt. Meine Wirtin, eine Redakteurs-Witwe von etwa vierzig Jahren, brachte das Abendessen und fragte, ob das das Bild meiner Schwester sei. Ich hatte keine Ursache, die Wahrheit zu verschweigen und erzählte ihr von meinem Ball- abend, was bei ihr grosses, etwas ungläubiges Staunen her- vorrief. Dann bat sie und drängte, ich möchte doch scherzes- halber die Kleider ihrer Tochter anziehen, sie könne sich garnicht vorstellen, dass so etwas möglich sei. Ich schlüpfte mit tausend Freuden in die weichen Gewänder und was war die Folge? Sobald da 6 Geschäft seinePforten schloss, stürzte ich eiligst nach Hause, eins zwei drei! waren die Männer-Kleider ab- gestreift, und Korsett und weiche Unter- röcke hüllten meine Glieder ein. So ging es einen Tag wie den andern. Mit keinem Kollegen verkehrte ich, kein Freund konnte sich meiner rühmen. Nach Hause, in meine geliebten Frauenkleider, das war meine einzige Sehnsucht!

Mein ganzes Gehalt ging für Kleider, Hüte, Unterröcke und Wäsche darauf. Die Zeit war aber auch herrlich. Abends ging ich als Mädchen mit meiner Wirtin spazieren, hatte bei einer ahnungslosen Schneiderin Anproben und genoss mit tiefen Atemzügen die herrliche Luft des Hofgartens. Morgens sass ich in Unterrock und

spitzenbesetzter Nachtjacke am Kaffeetisch und fuhr jedesmal mit tiefem Bedauern in die Männerhosen, um zum Geschäft zu gehen. Sonntags blieb ich überhaupt in den Kleidern, ging früh mit meiner Wirtin spazieren, oft auch zur Kirche,

38

nachmittags machten wir Besuche bei befreundeten Familien, die mich für ein wirkliches Mädchen hielten, oder wunderten in der Umgebung der Stadt. Kurz, es war so schön, wie ich es in meinen Träumen nicht einmal mir ausgemalt hatte. Da- bei w'ar, wie ich ausdrücklich bemerken will, meine Wirtin stets diskret zu mir und hat nie die Grenzen des erlaubten Verkehrs überschritten.

Diese überaus herrliche Zeit nahm ein jähes Ende; meine Firma fallierte, und trotz aller ^lühe fand ich in D. keine zweite Stellung. Mit tiefer Trauer musste ich scheiden, reich an Mädchen-Kleidern, arm an Männerkleidern, noch ärmer an Geld. H. nahm mich in seine Mauern auf, hier setzte ich die Jagd nach dem Glück fort.

Hart tobte hier der Kampf ums Dasein und dem Elend kam ich trotz allen Mühens um eine Stellung näher und näher. Eines Sonnabends, als ich wiederum meine Miete nicht bezahlen konnte, machte ich mich schweigsam aus dem Staube, meinen wohlgefüllten Koffer mit den Kleidern der gierigen Megäre, die sich meine Wirtin nannte, preisgebend. Tm dunkelsten Winkel der Hafenstadt fand ich ein jammervolles Loch, das nicht im Voraus bezahlt w'erden brauchte, und von dieser Verborgenheit aus suchte ich weiter verzweiflungsvoll nach Beschäftigung.

Ein paar Tage später fiel mir in einem Kaffee-Keller das „Hamburger Fremdenhlatt“ auf. Darin stand zu lesen, dass ich (mein voller Name war angegeben) vermisst werde, denn ich hätte mich heimlich aus meiner Wohnung entfernt, ohne irgendwelche Nachricht von mir zu geben. Nach meinem Ver- bleiben hätten meine Wirtsleute meinen Koffer geöffnet, um vielleicht über meine Herkunft etwas zu erfahren, zu ihrem Staunen habe sich dadurch eine Vermutung bestätigt, dass ich nämlich ein verkleidetes Mädchen sei, das aus irgend einem Gnmde im Männer-Anzug bei ihnen ge- mietet und gewohnt habe. Aus meinem Aussehen und meinem Benehmen hätten sie das allerdings schon längst geschlossen, erst der Inhalt des Koffers habe aber die Gewissheit erbracht. Zum Schluss fand sich die tröstliche Bemerkung, die Polizei

39

habe sich des Falles angenommen, um Licht in die Geschichte zu bringen.

Xun war kein Halten mehr, zitternd und bebend wankte ich zum Telegraphenamt und bat meine Mutter zum ersten Mal um etwas Geld zur Reise nach C.

Dort traf ich am folgenden Tage bettelarm ein. Das Glück war mir aber günstig; denn ich fand nicht allein eine gute Stellung, sondern auch recht netten Anschluss durch Kollegen in einer literarischen Vereinigung. Dort sollte eines Abends eine Pantomime aufgeführt werden, deren Damenrolle man mir übertrug, und das gab Anlass zu einem Erlebnis, dass ich hier wahrheitsgetreu schildern will.

Zu dieser Pantomime hatte ich mir ein recht ele- gantes Strassenkostüm von einem Damenschneider machen lassen, auch eine annehmbare Perücke war mein eigen, so dass ich eine ganz gute Figur machte. Eines Abends fand Kostümprobe statt, ich zog mich zu Hause als Dame an und ging die weite Strecke zum Treffort zu Fuss. Dadurch und durch das häufige Wiederholen des Zusammenspiels wurde es später, als man gedacht hatte, und zum Schluss stand ich vor der Haustür meiner Wohnung und konnte nicht hinein, weil ich den Schlüssel vergessen hatte. Dem Portier mochte ich mich in meinen Frauenkleidern nicht zu erkennen geben; ich hoffte, es würde noch jemand kommen und ging auf und ab. Da kam eine Droschke gefahren und heraus stieg eine Dame, die in ihrem Handtäschchen suchte und auch keinen Schlüssel fand. Diese Dame rief mich an und fragte, ob ich etwa aufschliessen könne. Als ich verneinte, stand sie einen Augenblick vor mir, als ob sie noch etwas sagen wollte, ging dann aber auch gleich mir nur der Kälte wegen auf und ab.

Wir hatten uns einigemale schon gekreuzt, da machte sie eine gleichgültige Bemerkung, die mich zwang, an ihrer Seite zu bleiben, obgleich mir das nicht sehr erfreulich schien; es dauerte aber nicht lange, da waren wir in der schönsten Unterhaltung. Dabei konnte ich sie beobachten und sehen, dass sie niedlich und schlank war und vorzüglich über alles zu plaudern wusste. Wie wir so nebeneinander gingen, waren

40

wir von gleicher Grösse, sie aber trotz der Winterkleidung weit schlanker in der Taille als ich. Was wir erzählten, weiss ich nicht mehr, iler Stoff ging uns aber nicht aus, denn als wir uns trafen, war es zwischen 10 il Uhr, als wir endlich durch einen Dritten ins Haus hineinkonnten und uns darum trennen mussten, schlug es drei LIhr und beide waren wir erschrocken; denn wir hatten geglaubt, es sei kaum Mitternacht.

Sie mochte aber Gefallen an mir gefunden haben, denn sie lud mich zum Abschied ein, am anderen Abend punkt 8 Uhr zum Abendessen bei ihr zu sein. Sie klagte, dass sie gar keinen Verkehr mit andern Damen habe, ihr Mann sei schon lange gänzlich gelähmt, und wenn wir zusammen passten und ich sie recht häufig besuchen könne, sei sie mir recht dankbar.

Noch nie war ich so unaufmerksam, wie anderen Tags im Geschäft. Vormittags sagte ich mir. dass es an Wahn- sinn grenze, wenn ich wirklich hingehen würde. Zum Nach- mittag meldete sich erst ganz leise, dann immer lauter die Lust an diesem kühnen Unternehmen und abends um 6 Uhr sass ich im Korsett und kurzemUnter- röckchen vor dem Spiegel und rasierte mich, ob- gleich ich hierzu keine Ursache hatte; denn Bartwuchs war kaum vorhanden trotz meiner 21 Jahre. Um 8 Uhr klingelte ich an ihrer Wohnung, ein Dienstmädchen nahm mir Jackett, Hut und Schirm ab und sagte, die Gnädige habe schon mehr- fach nach mir gefragt. Mit klopfendem Herzen stand ich einen Augenblick darauf vor ihr und sah, dass sie, eine ele- gante, schöne Erscheinung, auf einem Divan lag und gelesen hatte.

Sie erhob sich, reichte mir beide Hände und drückte mich in einen Sessel, dabei fühlte sie, dass ich vor Aufregung zitterte. Aber liebstes Fräulein, sagte sie und streichelte meine Hand, ich bin Ihnen für Ihr Kommen so dankbar und Sie zittern? Diese Nacht an meiner Seite so mutig und tapfer und jetzt etwa ängstlich? Dann plauderte sie so lieb und herzig, dass ich aller Angst vergass und auch auftaute und hier und da ein Wort riskierte. Meine Sorge war, sie

41

könnte etwas merken, ich war darum äusserst vorsichtig, sie ahnte aber nichts und sprach unbefangen und nett. Dann klang ein Gong und rief zu Tisch; da legte sie den Arm um meine Taille und führte mich in den Speisesaal. Zu meinem grössten Schrecken fand ich hier ihren Mann, der hilflos in einem Stuhl hereingeschoben wurde.

Sie wollte mich ihrem Mann vorstellen, da fiel ihr ein, dass sie nicht einmal meinen Namen wusste. In meiner Fassungslosigkeit sagte ich meinen wirklichen Vor- und Familien-Namen, nämlich Willi B . . ., das fiel aber nicht weiter auf und sie nannte mich einfach „Fräulein Willi“, ihr Mann ebenfalls.

Gegessen habe ich nicht viel, das möge man mir glauben; auch meine Unterhaltung war recht einsilbig, aber mit tiefer Freude im Herzen konnte ich konstatieren: Keiner von beiden merkt, dass ich kein Weib bin.

Nach dem Essen sassen wir in ihrem netten Zimmer zu- sammen; nun ging die Unterhaltung schon besser. Wie es unter Damen üblich ist, kam die Rede zuletzt auf Toiletten. Sie sprang auf: Wollen Sie mein Neuestes sehen? Entzückend, sage ich Ihnen, o, das müssen Sie sehen! Sie eilte hinaus und brachte ein Kostüm herein, so zart, so duftig, wie ein in Spitzen übersetztes Gedicht. Dieses Wunderwerk breitete sie vor mir aus.

In schweigendem Entzücken betrachteten wir es eine Weile; dann fragte sie mich, ob ich es anprobieren wolle, wir hätten doch beide dieselbe Figur und sie möchte zu gern sehen wie es mir stehe. Mit Entsetzen wehrte ich ab; denn mir fiel das Luftkissen ein, das meinem Busen seine üppige Rundung verlieh. Ich mag nicht in Sie dringen, aber wollen Sie mir behilflich sein, dann zieh ich es mir an sagte sie. Dazu war ich gern erbötig; ich half der schönen Frau Rock und Taille ausziehen und erwies mich durchaus ge- schickt dabei.

Noch heute, also fast 20 Jahre später, ist es für mich ein Kunstgenuss, ein hübsches Frauchen im Korsett und nied- lichem Unterröckchen zu sehen. Damals kochte in meiner ganzen Phantasie alles über, es war ein Brausen und Drängen

42

in mir, als das schöne Weib so vor mir stand. Dieser süsse weisse Busen, dieser Nacken, auf den das braunrote Haar schattierte, das war mir. dem gänzlich unverdorbenen .Jüng- ling, eine Offenbarung, die mir meine Ueberlegung raubte. Ich stürzte auf sie zu, riss sie an mich und küsste sie auf den Mund und auf den Busen, dass jeder Kuss wie ein brennend roter Fleck sich von der weissen Haut abhob.

Halb ohnmächtig vor Schreck sank sie in die Kniee auf den Teppich; als ich dort weiterküssen wollte, mochte ihre Besinnung zurückkehren, denn nun wehrte sie sich verzweifelt und kam endlich wieder auf die Füsse. Sind Sie wahnsinnig? rief sie und stiess mich mit beiden Händen zurück, was soll ich von Ihnen denken? Instinktiv musste aber plötzlich die Ahnung der Wahrheit in ihr auf dämmern, sie flüchtete hinter einen Sessel und mit einem Gesichtsausdruck, den ich nie ver- gessen werde, rief sie: Sie sind kein Mädchen, Sie sind ein Mann, ein verkleideter Mann! Hochaufgerichtet, mit wogen- dem Busen, aus dem hellen Gesicht brannten wie Feuer die schönen, goldbraunen Augen, streckte sie den weissen Arm zur Tür aus und befahl: Hinaus!

In der kalten Abendluft kam ich langsam zur Erkenntnis dessen, was geschehen. Ich wanderte den einsamen Ubier- Ring entlang dem Rhein zu und starrte innerlich zerrissen in die Fluten und in die treibenden Eisschollen. Erst als ich von Leuten angeredet wurde, die in mir eine selbstmord- lüsterne Dame vermuteten, raffte ich mich soweit auf. dass ich nach Hause gehen konnte.

Die Nacht zu schildern, möge man mir erlassen. Gegen Morgen fasste ich einen Plan und der beruhigte mich soweit, dass ich endlich einschlief. Ich w'olltc meine Miete für den Monat nicht abwohnen, sondern in aller Frühe mein Zimmer verlassen, um in eine neue Wohnung fern von ihr überzu- siedeln. Alles andere, nur nicht etwa sie zufällig treffen!

Morgens, als ich zum Geschäft gehen wollte, traf ich auf der Treppe den Briefträger, der mir einen Brief gab. Ich kannte die Handschrift der schönen Frau nicht, aber ich wusste genau, der Brief ist von ihr. Sehr beunruhigt ging ich zum Geschäft und hatte keinen Mut, aufzuschneiden und

43

zu lesen. Als ich mich aber endlich dazu auf gerafft hatte, da wusste ich nicht recht, ob ich wache oder träume, ich drehte das Blättchen hin und her und las noch einmal und noch einmal. Schliesslich begriff ich aber doch und zwar am ersten das eine, dass sie mir nicht mehr böse war, son- dern mich zum nochmaligen Besuch einlud. Das Schreiben lautete: Sehr geehrter Herr! Nachdem eine Stunde seit Ihrem Fortgange verflossen ist, habe ich mich soweit beruhigt, dass ich die ganze Angelegenheit mit kritischem Auge zu be- trachten vermag. Leider komme ich zu dem Schluss, dass ich Ihnen sehr Unrecht getan habe, da ich unedle Motive ver- mutete. Ich bitte Sie darum inständigst, mein schroffes Auf- treten mit meinem Schrecken entschuldigen zu wollen und würde mich sehr freuen, Sie heute Abend in derselben Verkleidung in meiner Wohnung begrüssen zu können.

Eine Unterschrift fehlte; ich wusste trotzdem Bescheid ;md sehnte nun mit aller Inbrunst den Abend herbei. Wie gestern, so empfing sie mich auch diesesmal. nur dass sie nicht so verführerisch auf dem Divan lag. Unsere Unter- haltung war aber einfach kläglich, denn sie vermied jede Anrede, sagte weder ..Herr” noch „Fräulein“, und ich empfand es sehr peinlich, dass sie die Wahrheit über mich wusste. Nachdem minutenlange Pausen in unserem Gespräch ein- traten. erhob ich mich, um mich zu verabschieden, sie reichte mir kaum die Fingerspitzen und ich ging in dem nieder- drückenden Gefühl zur Eingangstür, dass ich doch eine jammervolle Rolle gespielt habe. In diesem Empfinden über- sah ich den Bärenkopf, der an dem grossen Fell auf dem Fuss- boden lag, ich stolperte, trat mir auf den Rock und fiel elendiglich lang hin.

Meine Zuschauerin sagte kein Wort, ich merkte aber, dass sie ihr Taschentuch in den Mund stopfte, um nicht laut zu lachen, dann platzte sie aber doch heraus, und in aller Verlegenheit erhob ich mich und lachte mit; was blieb mir auch weiter übrig? Sie beruhigte sich nur schwmr, meine Haltung amüsierte sie immer wieder von Neuem. Sie rief mich zurück und sagte: Kommen Sie, liebes Fräulein, so

können Sie nicht f ortgehen. Vom Rock ist das ganze Futter

44

abgetroten, das müssen wir wieder anstecken! Dann kniete sie vor mir und heftete mit Stecknadeln das abgerissene Stück an. Sie müssen den Kleiderrock richtig raffen, erklärte sie mir und machte es mir vor; da es nicht recht gelingen wollte, legte sie jeden meiner Finger einzeln in die richtige Lage und machte es mir recht plausibel. Dann zeigte sie mir, wie man treten muss, um solches Pech nicht wieder zu haben und hatte ihre heUe Freude daran, dass ich mir Mühe gab, es richtig zu machen.

Es blieb nicht bei diesem Besuch, ich kam auch am folgenden Abend und wurde schliesslich ihr ständiger Gast. Unsere Exercitien setzten wir fort und mussten über manches komische Intermezzo häiü’ig recht herzlich lachen.

Mitte Dezember hatte die schöne Frau eine Idee: Wissen Sie, Willi, Sie kommen immer in denselben Fähnchen zu mir, wenn Sie eine hübschere Robe hätten, kein Mensch könnte etwas merken. Ich werde jetzt Mass nehmen und Ihnen ein Kostüm machen lassen. Stehen Sie mal auf, und nun nahm sie voller Eifer Mass und iiess bei ihrer Schneiderin richtig ein herr- liches Kleid machen. Das kam zusammengeheftet zum An- probieren und ich fand es eines Abends vor, als ich wieder zu Besuch kam. Nun musste ich ans Anprobieren und zog etwas bedenklich den Rock aus, so dass ich im Unterrock dastand. Die Taille musste aber auch aus, recht zögernd knöpfte ich auf, einen Knopf nach dem andern und nun sah die schöne Frau, woher mein Busen seine üppige Fülle hatte und wollte platzen vor Lachen, als das Luftkissen zu Boden fiel und eine gähnende Leere in meinem Korsett sichtbar wurde. Mit geheucheltem Gleichmut tat ich es an seine Stelle zurück und streifte den Futterrock und die Taille über; voll Eifer und mit hochroten Wangen machte die schöne Frau hier und dort Kreidestriche, heftete mit Stecknadeln und und zupfte und zerrte an mir herum. Die Taille, war bald so weit und Frau Trude nahm den Futterrock vor, der nun nach allen Regeln der Kunst ebenso behandelt werden sollte; aber ach, in der Taille war ich etwas zu stark und in den Hüften zu schlank. Ein seidener Unterrock der Frau Trude änderte nicht viel an der Sachlage, es blieb nichts

45

übrig, als das Korsett noch enger zu schnüren und in den Unterrock Watteeinlage einzuheften; dann hatte ich eine leidliche Figur. Mit Frau Trude war doch ein Vergleich nicht möglich; sie so schlank, biegsam und graziös, ich etwas plump und schwerfällig, die Hände gross und rot. Sie freute sich aber doch und ihre Augen glänzten; an diesem Abend schlossen wir einen innigen Herzensbund.

Von nun an waren wir täglich zusammen; ich führte da- durch ein Doppelleben, das seines Gleichen sucht. Tags über im Geschäft eifrig und fleissig, so dass meine Vorgesetzten mit mir zufrieden waren, in männlicher Beharrlichkeit, abends umflossen mich die weichenFrauen- kleider, die mein Ich vollständig aus- wechselten. Frau Trudes Dienstboten, ihr Mann, keiner ahnte, dass ein völlig normaler Mann in diesem eleganten Be- suchskleide steckte. Hatte mir das Dienstmädchen auf dem Korridor Mantel und Hut abgenommen, trat ich in Trudes Zimmer und wortlos sanken wir uns beide in die Arme und küssten einander wild und leidenschaftlich. Trude liebte es über alles, meine festen Glieder unter den weichen Kleidern zu wissen und ich war rasend in dies schöne Weib verliebt, weil sie sich so weich in meiner Umschlingung an mich schmiegte; es war, als wollte eins dem andern in Küssen die Seele austrinken. Wenn wir uns etwas beruhigt hatten, dann läutete der Gong und rief zu Tisch und dann sass ich an Trudes Seite als ehrbare junge Dame und vermied es, sie anzusehen, weil ihre Augen mit verzehrenden Feuer auf mir ruhten, wie wenn sie mich verschlingen möchten.

Sonntags machten wir Spaziergänge, erst in den menschen- leeren Gegenden des alten Festungswalles, später, als ich mich sicherer fühlte, auch in der Altstadt und Domgegend. Von Sonnabends Nachmittag bis Sonntag spät abends hatte ich nun Frauenkleider an und fühlte mich wohl darin, als hätte ich nie Männerhosen getragen. Schon mehr- fach war der Wunsch in mir auf getaucht, dass es doch so

46

bleiben möge; dann und wann sagte ich auch Trude davon Eines schönen Tages brachte sie das Gespräch darauf und schlug mir vor, meine Stellung aufzugeben und ganz zu ihr zu kommen, vor der Welt als ihre Gesellschaftsdame.

Besonnen habe ich mich nitht weiter, ich stimmte freudig zu. Mit meiner Wohnung hatte ich längst Schwierigkeiten, als Herr kam ich abends nach Hause, als Dame ging ich kurz darauf fort. Sonntags war ich nie zu sehen und aus all diesen Gründen wurde viel über mich geklatscht, was mich mehrfach nötigte, die Wohnung zu wechseln. Mit meiner neuesten Zimmermutter, einer alten Witwe, traf ich nun ein Uebereinkommen. Ich erklärte ihr, dass ich auf Monate ver- reisen müsse, sie solle mein Zimmer stets bereit für mich halten, meine Miete zahlte ich auf ein Vierteljalir im Vor- aus und trat, als meine Kündigungszeit im Geschäft abge- laufen war, eines Abends bei meiner Trude als Gesellschafts- dame an.

Herrliche Tage rauschten an mir vorüber, wie ein Traum zogen sie vorbei und machten mich zum Glücklichsten der Sterb- lichen! Meine kühnsten Wünsche wurden von den Tatsachen weit übertroffen! Hatte ich mich bisher seelig ge- fühlt, dass ich abends undSonntags in meine geliebten Röcke schlüpfen konnte, so war ich jetzt überglücklich; denn Woche auf Woche verging, und alle die niedlichen Sächelchen, die Frauen an sich tragen, trug auch ich an mir und freute mich täg- lich aufs Neue, sie anz ulegen. Meine Taille wurde zierlicher, denn ich gewöhnte mich ans Korsett; nur die offenen Damenbeinkleider vertrug ich nicht, da ich hef- tige Schmerzen im Scrotum davon hatte. Die geschlossenen Beinkleider, die an den Seiten zu knöpfen sind, sind etwas unbequemer; aber sie boten die gewohnte Stütze und die Schmerzen Hessen nach. Mein Haar wuchs länger und länger und als ein wunderbarer, sonniger Frühlingstag über C. leuchtete und alles in Gold tauchte, wunderte Frau Trude mit. mir die Ringpromenade entlang mid ich trug zum ersten Mal mein eigenes Haar nach Frauen art frisiert. Wenn es

47

zum Anfang auch verhältnismässig kurz war, eine Perücke brauchte ich nun doch nicht mehr, das machte mich sehr stolz. Gegen Mitte April gingen wir auf Reisen und blieben bis zum Herbst im Süden.

Während dieses halben .Jahres fühlten wir uns sehr sicher. Mein Haar war lang, leider aber glatt und strähnig und musste allabendlich eingeflochten werden. Ohrringe trug ich auch, in meinen Kleidern fühlte ich mich sehr wohl und wollte um keinen Preis wieder einen Männer-Anzug tragen. jMein Bartwuchs war gleich Null. Die Hände freilich immer noch zu gross, aber doch zarter in der Farbe, auch das Gesicht zeugte von Pflege. Trotz aller Sorgfalt machte ich immer einen etwas ländlichen Eindruck. Das teilte ich aber mit mancher wirklichen Dame.

Hier und da kam es doch vor, dass wir Entdeckung fürchteten. Manchmal fixierten uns Herren, manchmal Damen aus irgend welchen vielleicht recht unschuldigen Gründen, immer übermannte uns die Angst. Stellte es sich nachher heraus, dass die Sorge überflüssig war, nahmen wir uns lachend vor, das nächste Mal ruhig zu bleiben; es ging uns trotzdem immer wieder so. In einem Hotel in Meran liess bei der Table de hote ein Herr kein Auge von mir. Ich wurde unter seinen Blicken unruhig und verlegen, Trude aber bekam Zittern und Herzklopfen und musste das Essen unterbrechen. Zitternd flüchteten wir auf unser Zimmer und fingen schon an, die Koffer zu packen, da brachte das Zimmermädchen ein kleines Briefchen, in welchem dieser Herr mich um eine Unter- redung bat und zwar in einer Form, die deutlich zeigte, dass er nicht im Entferntesten die Wahrheit ahnte. Die Angst war wieder einmal mnsonst.

Leider war Trude manchmal furchtbar eifersüchtig und das bildete eine Gefahr, grösser als alle anderen. Als Dame kann man beim besten Willen nicht umhin, anderen Damen ein freundliches Wort zu sagen, man kommt in Unterhaltung und hat plötzlich eine Freundin. Im einsamen Öchweizer- dorf spazierte ich durch die Wiesen und traf eine Berlinerin, ein hübsches junges Mädchen. Wir kamen ins Gespräch und gingen des holprigen Weges halber so, dass sie ihren Arm

48

in meinen legte, unter Damen doch nichts ungewöhnliches. Das nahm Trude ungemein krumm, sie war nur schw'er zu beruhigen und ich musste versprechen, das nicht wieder zu tun. Auf dem Züricher See machten wir eine Bootfahrt, ich ruderte, Trude steuerte. Die Ruder führte ich in einer durch- aus sportmässigen Art und wir kamen hübsch vorwärts. Das hatte man von einer Dame noch nie gesehen und bei der Rückkehr ins Hotel drückte eine Französin mir ihr Erstaunen über meine Kraft aus. Dabei griff sie öfter an meine Arm- muskeln ohne etwas Böses dabei zu denken und wir unter- hielten uns ein wenig über Sport. Zufällig schaute ich nach der Richtung, in welcher Trude stand und sah ihre x\ugen dunkel und weitgeöffnet auf mir ruhen. Ehe ich sie beruhigen konnte, setzte ein Anfall von Schreikrämpfen bei ihr ein, der garnicht enden wollte. Am anderen Morgen reisten \\ir ab.

Eine nette deutsche Familie lernten wir in einem anderen schweizerischen Erholungsort kennen, dieser schlossen wir uns etwas mehr an.« Besonders mit den beiden Töchtern stand ich mich sehr gut, manchmal wälzten wir uns in lauter Ueber- mut auf der Wiese herum, Trude, die beiden Mädchen und ich. Da es noch ganz junge Dinger waren, fünfzehn- und siebzehnjährig, mochte Trude wohl frei von Eifersucht bleiben. Nach etlichen Tagen zogen noch mehr Erholungsbedürftige zu und wir bekamen dadurch einen grossen Bekanntenkreis. Einladungen hagelten nur so, Picknicks, Ausflüge und alles Mögliche. Machten wir bunte Reihe, so dass ich neben einem Herrn sass, dann hatte Trude nichts dagegen; das war mir aber nicht besonders lieb, denn mit einer Dame unterhielt ich mich weit besser, ln dieser Gesellschaft habe ich interessante Stu- dien gemacht. Ein junger Mann, der eines organischen Fehlers halber als Mädchen erzogen vmrde,*) erzählt, dass sich in seiner Gegenwart Frauen geniert gefühlt hätten. Das habe ich in meiner Praxis niemals bemerkt, mir gegenüber hat sich nicht eine geniert; ob das nun die suggestive Wirkung meiner Kleidung war oder ob die Damen meines Umganges

*) Gemeint ist N. 0. Body; „Aus eines Mannes Mädclienjahren Berlin, 1907.

49

nicht so feinfühlig waren, vermag ich nicht zu entscheiden, ich glaube aber an das erstere. Viele Jahre später, wenn ich gelegentlich aus irgend welchem Grunde weibliche Kleidung trug, habe ich oft bekannte Herren gefragt: Wirke ich als Frau auf sie, oder haben sie die Empfindung, als ginge ein Mann neben ihnen? Immer erklärte man mir, dass man das absolute Gefühl habe, ich sei eine Frau. Die Kleidung muss also doch wohl die oben erwähnte suggestive Wirkung haben, wenn nebenbei nicht andere Faktoren mitwirken, die diesen Eindruck aufheben.

Die Zeit verrann, wir kehrten im Herbst nach C. zurück und verlebten einen herrlichen Winter. Konzerte, Theater und Bälle besuchten wir und gerieten so recht in den Gesell- schaftstrubel dieser lebenslustigen Stadt. Bald war ein volles Jahr vergangen, dass ich Frauen- kleidung trug und immer noch fühlte ich mich wohl darinnen und hatte keine Sehnsucht nach J^Iännerhosen. Diese Erkenntnis machte mir viel zu schaffen und brachte mich oft zu Zweifeln an meiner Männlichkeit. Wenn ich ein absoluter Mann bin, so sagte ich mir, dann müsste doch mein Inneres, wenn auch nur ein wenig, nach der Kleidung streben, die meinem Geschlecht wirklich zukommt! Aber nein, nichts regte sich in mir, im Gegenteil, immer wieder durchzog mich ein wohliges Gefühl, wenn mich die seidenen Unterröcke um- rauschten. Trude sagte, in Männerkleidern könne sie mich garnicht denken und möchte mich so auch nicht sehen, ich sei für den Unterrock geboren; das müsse ich schon daraus sehen, dass mir Niemand den Mann anmerke. Und abends, wenn ich in ein weiches, bequemes Hauskleid geschlüpft war, schlang sie heiss und feurig die Arme um mich und versicherte, sie würde mich nie loslassen, aus den Frauenkleidern dürfe ich nicht wieder heraus.

Auch das machte mir viel Kopfzerbrechen, denn ich hatte bemerkt, dass ein normales Weib einen Mann in Frauenklei- dern nicht leiden mag, sondern Abscheu empfindet. Trude dagegen war am feurigsten, wenn ich noch Korsett und Unter- röcke anhatte, dann löste sie mein Haar und wühlte darin,

Hirschlelil, Die Transvestiten. 4

50

bis eine förmliche leiderischaftliciie Raserei sie ergriff, die mit innigster Umarmung endigte.

In sexueller Hinsicht war sie sehr leidenschaftlich. Ihr Mann war krank, schwerkrank und musste im Rollstuhl fort- bewegt werden, er konnte dem jungen Weib nichts bieten. Ich war ein Jahr älter als Trude und in einer Lebensperiode, die aus der Fülle heraus wirtschaften lässt. Soviel ich aber auch zu leisten vermochte, vollkommen zufrieden war Trude nie, war eine Viertelstunde verflossen, dann tauchte aufs Neue die heftigste Begierde in ihr auf. Das gab mehrfach Zank und dem Zank folgte immer eine Versöhnung, die ent- sprechend besiegelt werden musste. So ging es einen Tag wie den anderen.

In einer Gesellschaft hatte ich eine Dame kennen gelernt, eine Witwe, die mich auch gern als Gesellschafterin engagiert hätte. Sie lauerte mir häufig auf und sprach auf mich ein, trafen wir zu irgend einer Gelegenheit zusammen, dann sass sie gern neben mir und unterhielt sich. Das brachte Trude zur Verzweiflung! Wenn ich ihr hoch und teuer versicherte, ich hätte nicht die geringste Neigung, den Lockrufen zu folgen, sie traute mir nicht und liess mich schliesslich nicht einmal allein auf die Strasse. Diese Eifersucht trübte unser Zusammenleben sehr, dazu kam ihre eben geschilderte Leiden- schaftlichkeit auf sexuellem Gebiete, genug, die schönen Tage waren bald nicht mehr schön.

Ausserdem fiel es mir schwer auf die Seele, dass ich älter und älter wurde und es doch mit keinem Schritte weiter brachte. Wohlleben und 5Iüssiggang erzeugen trübe Gedanken und stundenlang sass ich und brütete mit finsterem Gesicht und sah vor mir eine schwarze Zukunft. Als Dame war ich gänzlich ohne Papiere, um nicht aus der Reihe der Lebenden ganz und gar gelöscht zu sein, schickte ich vierteljährlich an meine Zimmerwirtin die liliete, denn bei ihr war ich polizei- lich gemeldet. Einmal brachte ich die Äliete persönlich hin, ohne dass sie mich in meinen Kleidern erkannte und fand einen Brief meiner Mutter vor, die sehr verwundert ob meines Schweigens schrieb.

51

Wenn ich mit Trude heftig erzürnt war, dann empfand ich meine Lage als Schmach und in mir tobte und gärte es gewaltig. Das häufigere Auftreten von Zerwüitnissen liess den Gedanken an heimliche Flucht in mir reifen und als ich eines morgens einen furch tbai’en Auftritt (allerdings nicht ohne meine Schuld) hinter mir hatte, der für Trude Wein- krärapfe zur Folge hatte, zog ich mich reisefertig an, machte einen Koffer mit den allernotwendigsten an Wäsche etc. zu- recht und war gerade dabei ihn zuzuschliessen, als Trude dazu kam. Sie übersah sofort die Sachlage, die sie übrigens geahnt haben mochte, brachte kein Wort heraus, hob in schauerlichem Schweigen den rechten Arm und zweimal sab ich es in ihrer Hand blitzen und ein Rauchwölkchen auf- steigen: das rasende Weib hatte auf mich geschossen.

Einen Knall habe ich überhaupt nicht gehört, aber von meinem Ohr tropfte rotes Blut herab auf meine Bluse, von einem Streifschuss. Eine Kugel hatte in die Fensterscheibe ein kleines rundes Loch gemacht, die andere war an das Mauerwerk geschlagen und sprengte etwas Kalkputz heraus.

Ich habe nie in meinem Leben einen Schreck bekommen, auch bei dieser Gelegenheit nicht, ich fand ihr Vorgehen ganz natürlich. Als Trude geschossen hatte, liess sie den Revolver fallen und sank lautlos auf den Teppich. Ich brachte sie ins Bett und schickte zum Arzt, da sie nicht aus der Ohnmacht zu erwecken war. Der konstatierte ein Nervenleiden und ver- ordnete absolute Ruhe. Der Dienerschaft und ihres Mannes halber blieb ich noch 14 Tage bei ihr, dann ging ich auf und davon, am anderen Morgen war ich in B.

Hier wohnte ich im Christlichen Hospiz einige Wochen, denn ich hatte keinerlei Papiere und konnte darum kein möbliertes Zimmer mieten. Nach allen Richtungen bemühte ich mich, um die Möglichkeit zu finden, mein Leben als Dame weiter zw fristen ; denn ich hatte grosse Abneigung dagegen, wie früher wieder als junger Mann zu arbeiten. Das Glück war mir nicht besonders hold und mein Geld wurde immer weniger.

Es würde zu weit führen, alle meine Versuche zu schil- Ti dem, ich kann nur einiges herausgreifen. Zu einer Stellenver-

4*

mittlerin kam ich, bezahlte das Einschreibegeld und wünschte Stellung als Gesellschafterin. Ihre Frage, wo ich bisher war, beantw'ortete ich wahrheitsgemäss, Zeugnisse konnte ich aber nicht vorlegen. Sie sah an meiner eleganten Kleidung her- unter und ihr Auge blieb auf meinem Busen haften, dessen innere Leere sie ja nicht ahnen konnte, da bückte sie sich an mein Ohr und sagte: „Wollen sie nicht lieber als Amme gehen? Gute Ammen können wir immer brauchen und sie haben ja eine kräftige Figur!“

Im Hospiz wurden Einladungen verteilt zu einem Fest der Stadtmission. Um etwas auf andere Gedanken zu kommen, ging ich hin und führte auf diese Art ein niedliches Kostüm spazieren, das mir Trude in letzter Zeit geschenkt hatte. Boi Tisch sass ich zufällig neben einer jungen Dame, die mir aus- nehmend gefiel durch ihr sanftes und ruhiges Wesen, mit der ich in eine nette Unterhaltung kam. Diese junge Dame wurde bestimmend für mein ferneres Schicksal, denn sie ist jetzt meine Frau. Dass ich und diese Dame, von der sie später noch öfter sprach, ein und die- selbe Person sind, weiss meine Frau heute noch nicht. Denn als ich einsah, dass es keine Möglich- keit für mich gebe, als Dame eine Existenz zu erringen, als ich sogar als Lehrmädchen einige Tage in einer Kravatten- fabrik gearbeitet hatte und wegen mangelnder Invalidenkarte aufhören musste, da bot ich alles auf, um aus meiner Frauen- rolle herauszukommen. Das war schwieriger als ich glaubte.

Im Tiergarten sah ich eines Sonntags nachmittags ein bekanntes Gesicht, wusste aber nicht, woher diese Bekannt- schaft rühren könnte und folgte dem Herrn in einiger Ent- fernung. Nachdem ich ihn nochmals angesehen hatte, wmsste ich endlich, wer es war, ein Landsmann von mir, ein Archi- tekt. Entschlossen trat ich auf ihn zu und sprach ihn mit seinem Namen an. Er war sehr erstaunt, denn er erkannte mich garnicht. Mit vieler Mühe klärte ich ihn über meine peinliche Lage auf, denn er war sehr geneigt, meine Angaben für einen schlechten Scherz zu halten. Als er endlich begriffen hatte und aus seinem Staunen heraus war, erschien ihm alles ungeheuer spassig und lustig. „Weisst was? sagte er, heute

53

bleibst noch in deinen Mädelskleidern, morgen auch. Jetzt gehn wir erstlich mal uns stärken, morgen Abend haben wir ein kleines Künstlerfest und da kommst du mit und bist meine Dame. Und übermorgen in der Frühe, da bestellen ivir den Barbier, der schneidet deine langen Haare ab und du fährst wieder in deine Hosen. Erst pump ich dir einen Anzug, dass du wieder nach C. kannst und den schickst mir wieder und siehst dann selber zu, wie du weiter kommst!“

Mit vieler Wehmut und Trauer liess ich am Montag mein schönes braunes Haar zum letzten Male frisieren, betrübt zog ich mein hellgraues Seidenkleid an und gab in der Damen- garderobe des Festsaales meine Sachen, Mantel. Hut und Boa ab. Dann bin ich aber krampfhaft lustig geworden und habe den jungen Künstlern als ein fesches Weib gegolten, das alle Scherze mitmacht.

Am anderen Morgen in meines Freundes Wohnung schnitt der Barbier nach etlichem Sträuben mein Haar ab und jeder Schnitt tat mir weh. Dann zog ich zum erstenmal seit zwanzig Monaten wieder Männerkleider an und fühlte mich sehr unglücklich darin. Meine weichen, rauschenden Kleider aber kamen in den dunklen Koffer und abends fuhr ich nach C. zurück zu meiner Zimmerwirtin und musste mir eine neue Existenz schaffen und sehr angestrengt arbeiten.

In meinem Herzenaber erlosch dieSenn- sucht nicht, wieder Frauenkleider tragen zu dürfen und als Weib zu gelten, und wo es nur irgend möglich war, trug ich meine Röcke, auch daheim im stillen Zimmere hen.

Später kam ich wieder nach B., diesesmal als Mann \ind als ich eine Existenz hatte, holte ich mir das liebe junge Mädchen, von dem ich oben schon sprach, als inein Frauchen und wir beide sind sehr fleissig am Arbeiten gewesen, haben bisher Glück gehabt und sind vorwärts gekommen. Zwei liebe Kinder machten unser Glück voll- kommen.

Die Sehnsucht nach den Frauenkleidern ist aber trotz alle, dem nicht verschwun den, sondern ist immer nochübermächtig in mir,

54

und komme ich vom Geschäft nach Hause, dann ist es das erste, dass ich Unterröcke und ein bequemes Hauskleid anziehe. Mein Frauchen sieht es nicht gern, sie ärgert sich etwas darüber, duldet es aber, denn ich bleibe zu Hause; sie halt es wohl für eine Marotte. Dass es ein innerer Drang ist, weiss sie nicht und soll es nicht erfahren.“

Fall VI.

Herr F., Künstler von Ruf, ca. 40 Jahre alt. Inbezug auf Vorfahren und Verwandtschaft ist nichts Abnormes oder Degeneratives zu erkunden. Der Altersunterschied zwischen den Eltern betrug 20 Jahre. Die Kindheitsentwicklung ver- lief ohne bemerkenswerte Zwischenfälle; obwohl er sich auch an Mädchenspielen beteiligte, zog er die Knabenspiele doch vor. Schwärmerische Schulfreundschaften bestanden, aber ohne geschlechtliche Handlungen. Mit 21 Jahren Hess er sich auf einer Reise im Orient von Arabern in anu gebrauchen.

Status praesens: Konturen des Körpers mehr rundlich, Hände und Püsse mittelgross, Schritte rhythmisch, liebt Tanz und Fusstouren; Teint dunkel und unrein, Körperbehaarung schwach, Kopfhaar wird gern lang getragen. Bartwuchs mittelstark. Errötet und erblasst leicht; Kehlkopf wenig hervortretend, Stimme ziemlich tief. Uebung zur Fistelstimme. Neigung zum Weinen, Eitelkeit, Abenteuersucht, Abhängigkeit von Stimmungen, exzentrisches Benehmen sind hier, wie oft bei Künstlern, vorhanden. Er trinkt und raucht stark. Bildung oberfläch- lich, Phantasie lebhaft.

Vita sexualis: Er hat immer viel masturbiert,

so dass ihm Pollutionen unbekannt sind. Die Stärke seiner Libido unterliegt Schwankungen und drückt sich etwa in der Zahl von 2 14 Ejakulationen pro Woche aus. Hat er Prauenkleider an, so fällt es ihm leicht, usque ad orgasmum zu masturbieren, ohne dass er dabei an weibliche oder männ-

55

liehe Personen zu denken brauchte; ja, es passierte ihm, dass die Ejakulation eintritt, ohne dass er sein niembrum überhaupt berührt hätte. Als besonders reizend bezeichnet er eine melodische Stimme, die weiche Haut des Weibes und Parfüms. In coitu bevorzugt er die Stellung des succubus. Er schloss zweimal Liebesheiraten, aus denen zwei Kinder hervorgingen. Aus seinen autobio- graphischen Skizzen sei folgendes hervorgehoben:

..Soweit ich zurückdenken kann, wurde ich immer von dem einen Gedanken gequält, ich möchte weibliche Kleidung tragen. Erst waren es die Ohrringe und später die Damenstiefel, deren An- blick mir jedesmal heftige Wünsche erregte. Im Alter von 10 Jahren träumte ich oft, ich ginge mit richtig eingestochenen Ohrringen auf der Strasse spazieren, und jedermann fände das ganz natürlich. Die Vorstellung, dass ich so frank und frei meinen Wünschen entsprechend mich zeigen dürfe, verursachte mir ein erotisches Wohlbehagen. Erzählt habe ich niemandem je von diesen Träumen, sie vielmehr wie ein grosses Geheim- nis sorgfältig gehütet. Dafür masturbierte ich um so eifriger, da ich bei dem Gedanken an Ohrringe von den heftigsten Erektionen geplagt wurde. Einmal bekam ich ein paar zier- lich benähte Stiefeletten nach damaliger Mode; ich schämte mich furchtbar, sie anzuziehen und mich darin vor den Leuten zu zeigen, sodass sie schliesslich umgetauscht werden mussten.“ „Je älter ich wurde, desto schlimmer wurden diese Zu- stände bei mir. Ich schlich auf den Boden, zog die Stiefel meiner Mutter an, kramte in ihren Koffern nach Garderobenstücken aus den „besser n“ Tagen und kostümierte mich nach Herzenslust. Endlich wurde ich dreister, trat mit der Behauptung auf, meine Stiefel drückten mich beim Schlittschuhlaufen, und veranlasste meine j\Iutter, mir ihre zu borgen. Dies fiel nicht weiter auf. Ich war damals so wild, dass ich manche Mädchen, deren Schuhe mit gefielen, hätte überfallen mögen, um mich ihrer Fussbekleidung zu be- mächtigen.“

56

„Als ich ungefähr 17 Jahre alt war und die Akademie besuchte, kam es vor, dass wir Freunde uns untereinander Modell standen, weil damals weibliche Modelle noch nicht üb- lich waren ; dies war für mich stets ein gern ge- suchter Vorwand, Weiberkleidung anzu- z i e h n.“

„Es kam der Augenblick, wo mir zum erstenmal ein weibliches Modell nackt posierte. Ich fand die Person scheuss- lich und bemitleidenswert; malen konnte ich nichts nach ihr. Der männliche Körper erschien mir bei weitem schöner; be- sonders fesselten mich Statuen des Apollo, wie er in langen Gewändern zur Kithara singend einherschreitet. Schliesslich aber verliebte ich mich doch in ein Modell, das freilich nicht mehr so „unschuldig“ war, wie ich; ich konnte ihren stillen Wünschen indessen nicht willfahren, da ich absolut nicht wusste, was ich mit ihr anfangen sollte.“

,,Inzwischen trieb ich mein geheimes Laster weiter. Als ein Kollege hei einem Kostümfest mit Geschick eine weib- liche Rolle spielte, kam ich auf die Idee, das auch zu ver- suchen. Maske und Allüren gelangen mir so vorzüglich (es war eine Tanzpantomime im indischen Stil), dass sogar die Zeitungen lobend davon berichteten. So wohl fühlte ich mich in den Kleidern, dass ich sie nie hätte ausziehn mögen. Doch hütete ich mich wiederum, das jemandem einzugestehn; denn es hing ja mit der Onanie zusammen.“

„Dann verheiratete ich mich, mit derselben, die „nicht mehr so unschuldig war wie ich“, aus moralischen oder irgend welchen Gründen; denn sie hatte inzwischen ein Kind von mir. Ich schaffte mir dann geschmack- volle Frauenkleidung an und kostümierte mich morgens zum Kaffeetisch. Wenn Besuch kam, oder wenn ich auszugehen hatte, musste ich zu meinem grössten Bedauern die Kleidung wechseln. Um sexuell mit meiner Frau verkehren zu können, war es nötig, dass min- destens sie diejenigen Kleider anzog, die ich gern angehabt hätte.“

57

Eines schonen Tages verliebte sie sich in einen andern und lief mir davon. Mein Trost waren die armseligen paar Kleider; aber die Einsamkeit überfiel mich doch sehr bitter. Ich war sicher der lasterhafteste Mensch unter der Sonne. Niemandem durfte ich es wagen, mich anzuvertrauen; also weiter heucheln! Ich brauchte Gesellschaft: gefallene Mädchen, womöglich frisch gefallene, die mich gern hatten, weil ich sie versorgte. Ich zog ihnen an, was mir selber so gut ge- standen hätte, und lief daneben als „Herr“ (ich war damals eine Tagesberühmtheit geworden). So war es doch keine „Selbstbefleckung“ mehr. Meine eigenen Weiberkleider waren abgeschafft; ich kam mir sehr moralisch vor!“

„Ich benutzte die Mädchen als Modelle, schrieb ihnen Stellungen vor, die sie mit der Zeit lernten, gewöhnte sie an meinen Modengeschinack, bis sie wegliefen, sobald sich ein passabler Verliebter zeigte. Ich „tyrannisierte“ sie zu sehr.“

„Meine Einsamkeit nahm zu. Manchmal hatte ich heftige Sehnsucht nach einer talentvollen Theaterdame; doch diese Hessen sich nicht „tyrannisieren“. Sowie ich allein war, brach mein Laster mit verdoppelter Gewalt aus. Ich suchte meinen Ekel vor mir selbst mit Alkohol zu überwinden.“

„Endlich lernte ich wieder ein mir zusagendes Mädchen kennen. Kurze Zeit vor der Hochzeit bekam ich das Buch von Forel in die Hände und erhielt zum erstenmal Aufklärung über meinen Fall, d. h. eigentlich nur über meinen Stiefel- fetischismus. Ich vertiefte mich nun weiter in ähnliche Werke und fand schliesslich den Mut, meiner Frau offen zu gestehn, was mich bedrückte. Die Erleichterung meines Gemüts machte mich förmlich delirieren; ich war geblendet, wie ein Gefange- ner, der aus den unterirdischen Kerkerlöchern des Dogen- palastes plötzlich auf die sonnige Piazetta in Freiheit ver- setzt wird. Ich hätte die Welt umarmen und um Verzeihung bitten mögen für meine kleinliche und scheussliche Heuchelei. Nur fern im Untergründe fragte eine Stimme: wozu hast du dich eigentHch verheiratet?“

„Jetzt sehe ich ein, dass ich nun mal so geartet bin. Es geht auch besser mit der Ehe, als ich ursprünglich fürchtete.

58

Man kommt mir entgegen; selbst meine Schwieger- eltern haben nichts dagegen, dass ich zu Haus beständig Weiberkleider trage, wo- fern ich nur ihre Tochter gut behandle.“

Fall VII.

Herr Q., bis vor kurzem Polizei-Beamter, ca. 40 Jahre alt. Ein Onkel war Tabiker, seine Eltern Cousin und Cou- sine. Sonst ist aus der Verwandtschaft nichts zu ermitteln, was auf Degeneration Bezug haben könnte. Herr G. hat Aufzeichnungen über sich gemacht vom Umfang eines recht ansehnlichen Druckbandes in Lex. 8 . Hieraus seien die be- merkenswertesten Details mitgeteilt:

Inbezug auf die Kindheitsentwicklung heisst es: .,Sah ich in Märchenbüchern oder auf Bilderbogen Männer mit struppigen Vollbärten oder von rauhem, rohem Wesen dargestellt, so konnte ich es mir garnicht vorstellen, dass ich auch einmal ein Mann werden sollte.“ G. hatte stets Sehnsucht nach Puppen und Puppenwagen, bekam aber nie derartiges Spielzeug. Allerhand Puppengeschirr besass er; sein Wunsch, damit Kochen spielen zu dürfen, wurde ihm von der Mutter abge- schlagen.

In dem kleinen Jungen entwickelte sich nun sehr bald eine Zuneigung zu seiner ein paar Jahre alten Schwester, be- sonders zu ihrem Hals oder Halsausschnitt und zu ihrer ge- samten Kleidung. Er empfand diese Neigung schon deutlich als erotisch; denn sie wurde für ihn bald zu einer inneren Heimlichkeit. „Kam meine Schwester aus der Schule und setzte sich dann zum Mittagessen nieder, so kletterte ich von hinten auf ihren Stuhl und bedeckte ihren Nacken mit innigen Küssen.“

Sehr früh trat auch schon ein Zug auf. den er in seinem Bericht selber als masochistisch bezeichnet. „Ich empfand eine sinnliche Befriedigung, wenn ich mich als kleiner Knabe mit dem Bauch platt auf die Erde legte, und wenn meine Mutter dann ihren Schuh auszog, mit dem Fuss sanft über meinen

59

Rücken strich und tretende Bewegungen machte. Ich nannte das „Padde (Frosch) treten" und bat im Alter von 5 6 Jahren meine Mutter fast täglich hierum."

Mädchen erschienen ihm wie übernatürliche Wesen. Ob- wohl er wenig Gelegenheit hatte, an ihren Spielen teilzu- nehmen, war stets sein höchster Wunsch, als Mädchen sich unter Mädchen tummeln zu können. Die Raufereien der Knaben fand er roh und abstossend. Dabei bestand und be- steht grosse Neigung zum Weinen.

Mit 7 Jahren kam er in die Schule. Seine erste Ent- täuschung war dort, dass er keine Lehrerinnen bekam. Da- gegen hatte er das „Vergnügen“, dass ausnahmsweise die Tochter des Schuldirektors in der gleichen Klasse mitunter- richtet wurde. Beim Nachhausegehn folgte er ihr oft von fern. Wieder regte sich der Wunsch, so ein Mädchen „in duftigem, tief ausgeschnitte- nen Kleide“ sein zu können.

Schläge von seiten der Eltern und Lehrer gab es öfter. Sein Ehrgefühl litt ausserordentlich darunter. Bekamen andre Jungens eins ab. so hatte er dagegen „beim Anblick des Opferlamms erotische Gefühle“

Im 9. Jahre stellten sich Nacht- und Tagträume ein. „Ich hatte die Illusion, ald stände eine ganze Reihe der schönsten Frauen in ausgeschnittenen Gewändern vor mir und ich küsste und beleckte sie an Hals und Brust nach Herzens- lust.“

Sentimentale Märchen interessierten ihn ungemein. Er vergoss bittere Zähren über das Geschick der heiligen Geno- veva. Die Geschichte der Märtyrer, das Leiden Christi machten sein Herz klopfen.

Mit 10 Jahren geriet er einmal in eine heftige Erregun beim Anblick eines .,stark dekolletierten Mädchens von 6 < Jahren“. In seinem Bericht vibrierte dieser Eindruck noch so sehr nach, dass er die Einzelheiten der Kleidung dieses Mäd- chens genau angibt. „Ich bedauerte, dass ich nicht auch so frei und luftig um den Hals gehen, nicht auch die Haare so schön lang wachsen lassen durfte usw.“

C

60

„Ein neues Moment: Damals bereits empfand ich in

meinen Brüsten ein wollüstiges Getühl, sodass ich mir mein Knabenhemd zuweilen öffnete und meine Brüste betastete. Auch ging ich heimlich ans verschlossene Küchenspind, nahm mit dem Teelöffel et- was Milch aus dem Topf und träufelte sie auf meine Warzen, um mir die Illusion einer stillendenMutter vorzugaukeln. Hier- bei hatte ich ein starkes Gefühl, natürlich ohne Eja- kulation."

Dann verliebte er sich in einen Klassenlehrer, den „Typus eiues verfeinerten Urgermanen“. Wenn dieser ihm mit der Hand über das Haar strich, war er wie elektrisiert. „Ich errötete tief, denn ich spürte das Rieseln des Blutes in meinen Wangen. Bei einer andern Gelegenheit hatte ich zum ersten- mal das Gefühl, ich möchte die Frau dieses Mannes sein.“

Im 11. Jahre musste G. wegen einer Luxation Monate lang das Bett hüten. „Ich las dabei Romane und wurde durch die Schilderungen von schönen Frauenarmen, zierlichen Damenhänden und -füssen, Alabasterbusen, schönen, herrlichen und entzückenden Damenkostümen heftig erregt. Blätterte ich in Märchenbüchern herum, so küsste ich die Bilder schöner Prinzessinnen“.

Im 12. Jahre hatte er im Turnsaal beim Stangenklettern „ungemein schöne Gefühle“. Er wurde in Gartenlokale mit- genommen und begeisterte sich für Chansonetten in „ihren niedlichen kurzen Kleidchen“. Ein Damendarsteller erregte in ihm die lebhafte Begierde, diesen Beruf zu dem seinen zu machen. Seine Sexualität wurde nun überhaupt stärker. „Zu dieser Zeit hatte ich Träume, nach denen ich recht gestärkt erwachte; wenn ich auch darüber ärgerlich war, dass der Traum nun aus sei. Mirwar’s, als ginge ich in Mädchen- kleidern auf der Strasse spazieren oder sässe in solchen auf der Schulbank. Manch- mal schien mir’s, als hätten auch andere Knaben, ja selbst der Lehrer Mädchenkleider an. Dann wieder, als tanzte eine wunderbare Frauengestalt mit vollen Brüsten und in berückend

61

schönen blauen Gewändern vor mir in den Lüften und Hesse sich zu mir hernieder, wie Pallas Athene zum Helden Achill.“

„Im Sommer desselben Jahres konnte ich der Versuchung nicht länger widerstehn; ich schlich in unbewach- ten Augenblicken an den Korb mit der schmutzigen Wäsche, holte mir ein Hemd meiner Schwester hervor und zog es mir über. Es roch so schön nach Schweiss. Mein Herz klopfte zum Zerspringen, Schauer durchrieselten meinen Körper, und ich zitterte wie Espenlaub. Vor Entzücken biss ich in die Kanten des Brustausschnitts und schlug klatschend auf meine Brust, Schultern und Oberarme.“

Derartige Szenen wiederholten sich nun öfter, in aller- hand Variationen. Nach einer solchen Extase war er dann eine Zeit lang „ganz ruhig und vernünftig“ und bereute seine „Schwäche“ ein wenig. Ejakulation war immer noch nicht vorhanden. Besonders betont muss werden, dass manuelle Masturbation erst vom 24. Jahre an geübt wurde.

Geschichten von Männern, die längere Zeit in Frauen- kleidern lebten, bevorzugte er als Lektüre. Achill unter den Töchtern des Lykomedes erschien ihm „dumm“ in dem Augen- blick, wo er das Schwert ergreift. Andererseits kam es aber vor, dass ihm der Hauptmann, der mit gezogenem Degen unter klingendem Spiel der Truppe reitet, als Ideal vor- schwebte. Vom Geschlechtsakt und der Entstehung des Men- schen hatte er damals noch keine Ahnung.

Aus dem 13. Jahre ist folgender Bericht zu erwähnen: „Es traf sich einmal, dass Eltern und Geschwister auf einige Stunden abwesend waren. Oh wie jubelte ich innerlich! Mein Herz war zum Zerspringen voll. Am ganzen Körper zitternd zog ich mich nackt aus, holte aus demW äschekorb Hemd, Hose, Schürze, Strümpfe meiner Schwester her- vor und kleidete mich damit an. Ihre Stiefel nahm ich gleichfalls, befestigte an meinem Haar ein Bukett künstlicher Blumen, band um den Hals ein schwarzes Samtbändchen

62

und z 0 s Mädchenhandschuhe an. Dann

setzte ich einen altenHut meiner Schwester auf den Kopf und spannte ihren Sonnen- schirm auf. Wie glücklich fühlte ich mich d a ! Und die Kleidungsstücke rochen so wunderbar schön; wie Balsam kam mir der Geruch vor. Nun trat ich vor den Spiegel das sollte ein Knabe sein? Purpurröte bedeckte mein Antlitz und Wonneschauer gingen durch meinen Körper.

Im 14. Jahr begannen nächtliche Pollutionen nach denen er „wie neugeboren“ erwachte. Eine neue Eigenart schildert er so: „Ich hatte damals die Neigung, auf ein Stück Papier Sätze zu schreiben wie: „I am a very fine young lady, I am a beautiful girl.“ Darnach zerriss ich die Zettel wieder. Auch Sätze in der Gramatik wie: ]e suis une belle fille. je suis ta tante, ta inere, erregten mich erotisch.“

„Oft bat ich meine Schwester, sie möchte einen oder zwei Knöpfe an ihrer Taille aufknöpfen; was sie auch manch- mal tat. Dann langte ich hinten in ihren Nacken und zerrte den Saum ihres Hemdes hoch. Oder ich bedeckte ihren Hals mit stürmischen Küssen.“

Mit 15 Jahren hielten ihn die schwierigem Schulaufgaben oft bis in den späten Abend hinein fest. Es ist bemerkens- wert, dass er dazu schreibt: „Infolgedessen war ich sexuell sehr aufgeregt.“ Er schlief damals mit Vater und Bruder in einem Zimmer. Sobald diese schnarchten, schlich er leise zum Wäschekorb, nahm Hemd, Hose, Unterrock und Strümpfe der Schwester heraus und zog sie an. „Ich bekam dann zu meinem nicht gelinden Schreck Pollutionen und legte alles wieder in den Korb hinein. Dann erst korinte ich ein- schlafen. Dies setzte ich eine ganze Zeit hindurch beinahe täg- lich fort, erwachte aber nie besonders geschwächt.“

Aus dem 16. Jahr sagt der Bericht: ..Die rohen und ge- meinen Reden meiner Mitschüler waren mir zuwider; denn sie erhöhten meine Phantasie und erregten mich sexuell in hohem Masse . . . Jetzt trat wieder eine ganz neue Erschei- nung auf. Wenn wir Schüler ein Extemporale schrieben und ich war beim Läuten mit meiner Arbeit noch nicht fertig ge-

63

worden, so ergriff mich die Angst, eine schlechte Note zu er- halten derart, dass ich plötzlich trotz meines energischen Sträubens Ejaculation hatte."

Er benutzte nun jede Gelegenheit zur Verkleidung. Erklemmte sichOhrringe an, raffte im Zimmer nach Frauenart den Rock hoch mit hüpfenden und wiegenden Bewe- gung e n.“ „Dann hatte ich plötzlich Orgasmus, ohne dass ich masturbiert hatte.“

Das Gymnasium absohderte er glatt und von Quinta an als Klassenerster. Als Primaner verkleidete er sich seltener. Geschah es aber, so liebte er die Illusion einer nährenden Amme. Er band, gleichsam als Kopftuch der Spreewälderinnen, eine SerGette um den Kopf, formte aus einer andern das „Kind“ und legte es zum „Stillen“ an, indem er ein Ammen- liedchen vor sich hin summte. Damals erregte ihn auch der Anblick eines Damendarstellers so heftig, dass er nur mit Mühe und mehrmals erfolglos die spontane Ejakulation zu hemmen versuchte.

Ferner schreibt er: ,,Yon jeher sah ich gern weidende

Kühe und Pferde, die mir in ihrer fessellosen Freiheit höchst beneidenswert erschienen. Ich wünschte, ich hätte eine Kuh sein können; namentlich von den milchstrotzenden Eutern konnte ich keinen Blick wenden. Aufs höchste er- regte mich das Melken.“ Von dieser Ideenverbindung wird noch weiter die Rede sein. Er hat sich eine Serie von Ansichtskarten zugelegt, die das Melken der Kühe zum Gegen- stand haben und deren Betrachten ihn unfehlbar in Exzitation versetzt.

Für seine Schüchternheit und PassiGtät ist folgendes be- merkenswert: Er bekam einen jüngeren Schüler zum Nach- hilfe-Unterricht. Dieser benahm sich bald sehr ungezogen, neckte ihn mit Mädchennamen und begann schliesslich, ihn zu zwicken, zu schlagen und zu treten. Er aber liess alles ruhig über sich ergehn, ja nahm solche Uebergriffe mit einem ge- wissen Genuss hin.

Herr G. ergriff nun die Beamtenlaufbahn, hatte aber auch hier von vornherein mit Spöttereien und Widerwärtigkeiten

64

zu kämpfen, weil seine verschlossene Sonderlingsnatur viel- fach dazu herausforderte, ln dieser Zeit bemühte er sich nach Kräften, des Sperma, wie er sagt, in seinem Körper zurück- zuhalten. Aber gerade dann war er von seinen „weiblichen“ Ideen sehr geplagt, wmhrend er sich nach Ejakulationen frei und als .,Mann" fühlte. So kam er auf den merkwürdigen Ge- danken, das Sperma überhaupt für das weibliche Prinzip in seinem Körper zu halten, „gewissermassen die Rippe, aus der Gott das Weib schuf.“

Zum Begriff des Obszönen macht er aus dieser Periode folgende Angaben: Sexuell erregend waren für ihn die Worte Kuh, Hirschkuh, Stute; die Karo-Dame im Kartenspiel; das Portrait des Chevalier d’Eon; aus dem Liede „Nun danket alle Gott“ der Vers „der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an“; die lite- rarischen Gestalten der Kriemhild, Pene- lope. Gudrun, Eboli; der Satz in Imm. er- manns Oberhof „W enn die Magd die Kuh melkt, steht ihr immer der Geliebte vor Augen“ erregte ihnmasslos. Wenn er eine Braut- kutsche sah, beneidete er die Braut stets „viel, viel mehr als den Bräutigam“.

Nach dem Tode seiner Eltern gestand er den Geschwistern, mit denen er die Wohnung teilte, seine Neigung zur weib- lichen Verkleidung. Er lebte dieser nun offenkundiger nach, stand ewig vor dem Spiegel und bewunderte „die Inkarnation des Weibes in sich“. Sein Körper hatte ziemlich Fett ange- setzt oder, wie er. es nannte, die „Weiberfleischwerdung“ war bei ihm vollendet; das Spiegelbild seines „Speckhalses“, seiner „Wurschtarme“ war für ihn berauschend; er küsste es.

Eines Tages begann er Zeitungsausschnitte über „Männer in Frauenkleidern“ zu sammeln. Da ihm die Spärlichkeit der- artiger Notizen aber nicht genügte, spielte er seinen eigenen Redakteur. Er verfasste Lokal-Feuilletons wie folgendes: „Narcissus redivivus! Ein heiteres Intermezzo gab es gestern Nachmittag in der Friedrichstadt. Promenierte da zwischen dem Eisenbahnviadukt und der Strasse Unter den Linden eine

65

bildschöne junge Dame in geradezu reizender Toilette usw.'‘ Die Dame wird auf Veranlassung einiger eifersüchtiger Prosti- tuierten nach der Polizei gebracht und entpuppt sich hier als „bildschöner Jüngling“, der unter Tränen versichert, von Kindheit an den unwiderstehlichen Drang zu Frauenkleidern gehabt zu haben. Nachdem er sich als der höhere Beamte Herr G. legitimiert hat, wird er mit der freundlichen Er- mahnung entlassen, solche Scherze in Zukunft zu vermeiden.“ Derartige Dokumente einer geistigen Masturbation genoss er dann in tagelang wiederholter Lektüre. Seine Verschlossen- heit und Sonderlingsmanieren nahmen hierbei begreiflicher- weise zu. Die Kollegen narrten ihn oder er glaubte von ihnen genarrt zu werden. Man stichelte ihn, weil man merkte, dass er nicht mit Weibern verkehrte. Die Folge war bei ihm eine verstärkte Phantasiearbeit in der Einsamkeit. Schliesslich verlor er bei seinen erotischen Schrifttibungen ganz und gar den Massstab und Konnex der Aussenwelt. Er über- gab dem Briefkasten unfrankierte und nicht oder phantastisch adressierte Briefe, die zur Aufdeckung seines Treibens, zur Entlassung und wegen des seltsamen Inhalts, dessen Moti- vierung er hartnäckig verschwieg, auch zur Entmündigung führten. Seine Manie begann damit, dass er eine Reihe von Zetteln ausschrieb, etwa mit folgendem Wortlaut: „Ich möchte eine Amme sein, die an ihrer blühenden, knospenden Brust ein Kindchen säugt“. Diese Zettel deponierte er vorsichtig auf Hausfluren,, in den Sandkästen der Strassenreinigung usw. Dann ging er zu umfangreicheren Briefen über. Er richtete sie u. a. an bekannte Molkereien, dann aber auch ganze Se- rien in Kinderhandschrift als ..Unglücklicher Neffe Felix“ an eine imaginäre Tante „Frau verwitw. Schulze geb. Müller geschied. Lehmann separ. Lange in YY“. Er bettelte darin um Mäd- chenkleider, da er doch eigentlich gar kein Junge sei etc. Es kamen aber auch sehr obszöne Briefe vor, andererseits solche, die bedenkliche Folgen haben konnten, wie z. B. der nach- stehende, an dom natürlich kein wahres Wort ist, der vielmehr eine geträumte erotische Wunscherfüllung bedeutet:

(Ohne Freimarke und Adresse in den Briefkasten ge- worfen.) „Ich bin ein junger Mann und Beamter von Beruf.

HirachfeM, Die Transvestiten.

o

66

Wenn ich nachmittags aus dem Bureau ermüdet und ermattet zu Hause ankomme, zwingt mich meine Schwester unter Fuss- tritten. Stocksclüägen, Peitschenhieben und Ohrfeigen, dass ich mich als Dame verkleide. Habe ich dann Mädchenkleider angelegt, dann muss ich mir immer die Taille öffnen und meiner Schwester die Brust geben, die dann gierig an meinen Brüsten herumtutscht, wie ein Säugling an der Mutterbrust. Auch knetet sie an meinen Brüsten mit den Händen herum, wie etwa die Magd die Kuh melkt. Sie klopft, befühlt und betastet meinen Nacken, beisst in meinen Hals und in meine fleischigen Oberarme hinein und betrachtet mich überhaupt wie ihre Milchkuh. Dieses Leben halte ich nicht länger aus. Ist niemand da, der mich befreit?“'

Herr G. war zu dieser Zeit infolge von Differenzen mit einem Vorgesetzten schon ziemlich irritiert. Nach Expedierung dieser Briefe glaubte er wahrzunehmen, dass seine Kollegen absichtlich öfter Ausdrücke wie „Amme“ oder „Milchkuh“ ge- brauchten, er nahm daher an, es sei alles herausgekommen, obwohl er die Mehrzahl jener Briefe bei Spaziergängen in Wäldern zwischen den Holzstapeln versteckt hatte. Also ging er eines Tages, von Gewissensbissen getrieben, zum Chef seines Ressorts und bezichtigte sich selber. Die Folgen waren die oben erwähnten, da das Faktum als solches ohne Kenntnis des Zusammenhangs ganz unverständlich war und einen Schluss auf verminderte Zurechnungsfähigkeit nahe legen musste.

Die beharrliche Phantasiebeschäftigung mit dem Vorgang des Melkens einer vollen Brustdrüse brachte es auch mit sich, dass Herr G. seinen Ferienurlaub mit Vorliebe im Gebirge verlebte, wo er viel Gelegenheit hatte, dergleichen Manipu- lationen zu sehn. Zu Hause in der Gressstadt setzte ei diese Beschäftigung dann insofern fort, als er systematisch alle Kuhställe zu den Melkzeiten aufsuchte, unter dem Vorgeben, er bedürfe zu seiner Gesundheit des regelmässigen Trinkens kuhwarmer Milch. In Wirklichkeit war es ihm um den ero- tischen Genuss zu tun, die Kuhmägde bei ihrer Arbeit zu be- obachten und ein Gespräch darüber zu beginnen, wie gut es eigentlich so eine Kuh habe, und dass es schön wäre, wenn man auch eine solche sein könnte etc.

67

Trotz seines Abscheus vor der Prostitution liess er sich doch zuweilen mit Masseusen ein. Diese erschienen ihm wegen ihres angeblich „energischen“ Charakters wie „halbe Männer“ und daher in passendem Gegensatz zu seinem „weiblichen“ Wesen; sie mussten ihn manuell behandeln und dabei vom Melken reden. Er malte sich auch aus, dass ihn eine Masseuse „schlachte“, ihm mit schnellem Griff den Leib aufschlitze und die Eingeweide herausreisse. Die Masseusen besuch- te er oft in Damenkleidern. Einmal überredete ihn eine solche, im Damen-Unterkostüm dabei zu sein, während ein dritter mit ihr allerlei Figurae Veneris ausführte. Was der dritte damit für Ideen verband, ist ihm unbekannt ge- blieben.

Der Wunsch, ein Weib zu sein, veranlasste ihn auch zu autocohabitatorischen Gedanken und Handlungen. Er führte sich stockähnliche Instrumente inter femora et in anum ein.

Ferner brachte ihn seine ewige Unbefriedigtheit zu eigen- tümlichen Exhibitions Vorgängen. An heissen Sommertagen spazierte er in der Umgegend auf Waldwegen umher, statt der Weste nur mit einem Gürtel angetan. An den Hut steckte er sich Rosen, den Gehrock hängte er über den Arm, Kragen, Vorhemd und Schlips praktizierte er in die Tasche, .letzt war das Damenhemd, das er tiaig, und vor allem sein „Schwanen- hals“, den er zudem noch mit einem schwarzen Samtbändchen und goldenem Medaillon schmückte, in ganzer „Schönheit“ für jeden zufälligen Passanten sichtbar.

Von seinen auf gezeichneten Träumen seien einige Bei- spiele wiedergegeben, z. B.t „Mir träumte, es klingle. Ich öffnete. Ein hässliches altes Weib stand vor der Tür und wollte mit aller Gewalt in die Wohnung eindringen. Trotz- dem ich die Tür zudrückte, stand sie doch plötzlich auf dem Korridor. Unter grosser Depression erwachte ich.“ Oder; „Ich war eine Ritterdarae in einem geräumigen altdeutschen Zimmer. Ich hatte ein hellblaues Gretchen- Kostüm an und einen Knaben an der Brust, während ein kleines täppisches Mädchen zu meinen Füssen mit der Puppe spielte. Von der Holzveranda überblickte ich Wälder, Täler und Höhen. Ich legte das Kind in die Wiege

h*

68

und ging ans Spinnrad. Das kleine Mädchen hielt sich an meinem Kleide fest und sagte; Mutti! Da küsste ich es auf die Stirn. Eine Fanfare schmetterte, und mein sieghafter Ge- mahl trat ein. Seine kräftigen Männerarme umschlangen mich.

Im weiblichen Kostüm macht Herr G. den Eindruck einer gealterten wohlbeleibten Dame der Halbwelt. Das Verzeich- nis' der Kleidungsstücke, die er bei dieser Vorstellung trug, ist folgendes: Hemd mit Stickerei, blaue Strümpfe, dito Strumpfbänder, blaue Zeugschuhe, hellgraues Korsett, weisses Beinkleid mit Stickerei, weisse Unter- röcke, hellblaues Kostüm mit tiefem Aus- schnitt und entsprechende Zutaten an Schmucksachen, Bändern, Kämmen in der auffallenden Frisur etc. Das helle Blau ist bei diesem Herrn und anderen ähnlicher Neigung die bevorzugte Farbe.

Fall VIll.

Herr H.. Mitte der zwanziger, Mediziner, korrespondierte mit uns über die Angelegenheit vom Auslande her.*) Seinen Ausführungen entnehmen wir folgende Einzelheiten:

„Ich interessiere mich lebhaft für die bisher zu wmnig beach- teten femininen Züge bei sonst heterosexuellen Männern. Der Wunsch, sich als Frau zu verkleiden, ist fast immer durch Erziehung, Sitte usw. gehemmt. Doch haben ihn sicherlich viel mehr Männer, als ihn betätigen. Ich selbst liebe es, mich als Frau zu verkleiden; indessen aus etwas andern Gründen. Ich habe namentlich das sogen. Prinzesskleid gern, der Aesthetik wegen, und fühle mich in dieser Kleidung total Frau, bin auch in den Bewegungen etc. ganz feminin. Mit abrasiertem Schnurrbart und Perücke erkennt man mich absolut nicht als Mann. Das Kleid muss

*) Nachträglich lernten wir ihn und seine Frau auch persönlich kennen.

69

neu, die Wäsche irisch gewaschen sein; Parfüms verwende ich gern, am liebsten Heuduff. Dabei bin ich so hetero- sexuell wie möglich, war mit 19 Jahren verheiratet und habe mich, seitdem ich meine Frau vor 2 Jahren verlor, jetzt von neuem verheiratet. Obwohl ich seit Jahren viel in homosexuellen Kreisen verkehre, als Wissenschaftler die The- orie der natürlichen Variabilität, und als Philosoph die Wieder- aufnahme der hellenistischen Ansichten vertrete, so kann ich es doch über eine blosse Freundschaft mit Männern hin- aus beim besten Willen nicht bringen. Der blosse Ge- danke an gleichgeschlechtlichen Verkehr ekelt mich direkt an. Im Gegensatz dazu stehn einige feminine Eigenschaften an mir. Man sagt oft, ich „ginge wie eine Dame“. Meine Hände sind ziemlich klein, be- weglich. mit schmalen Fingern. Obwohl es hierorts nicht üb- lich ist, trug ich längere Zeit hindurch ein Armband und lange Locken. Ich liebe auch weibliche Hand- arbeit. sticke gelegentlich besser als die Damen meiner Bekanntschaft, und webe.“

„Eigentlich hat nun der Reiz der Frauen- kleidung für mich nichts Erotisches. Es ist, als wenn zeitweise das Weibliche in meinem Charakter besonders stark hervortritt; dann liebe ich die Maskerade, weil sie meinem Seelenzustand entspricht. In Augenblicken, wo ich mich mehr Mann fühle, ist mir wiederum ein straff sitzendes Sportkostüm oder eine Studentenuniform fLitewka) angenehmer.“

„Auf der psychiatrischen Klinik in X., wo ich längere Zeit arbeitete, wurde ich oft vom Assistenten der Frauen- abteilung zu Hilfe geholt, weil „ein Weib immer besser mit Weibern auskommt“. Ich glaube eben, der weiblichen Psyche besser nachfühlen zu können, als die meisten meiner Freunde. Dadurch habe ich viele intime Freundschaften mit Frauen ge- wonnen. ohne dass diese im übrigen einen mehr als plato- nischen Reiz für mich gehabt hätten.“

„Der Weibtypus, den ich liebe, ist einzig folgender: Mittelschlank, kräftig, blond, mit sehr üppigem Haar, blau- grauen Augen, breitem Becken, also körperlich total

Weib; aber geistig stark entwickelt, eine sogen. Intellek- tuelle.“

^Was meine Libido anlangt, so komme ich beim ein- fachen Koitus nicht oder schwer zur Befriedigung; er muss stupnimartig sein, mit gleichzeitig erzwungenem ba- sium linguarum. Meine Frau war etwas masochistisch ver- anlagt, sodass sich unsere Bedürfnisse hier ausglichen. Ich habe bisher nur mit meiner Frau verkehrt; einer puella gegen- über würde ich aus purem Ekel impotent sein. Wenigstens war dies Gefühl, als ich einmal ein Bordell besuchte, so mächtig, dass ich mir von der puella nur ihre Lebensgeschichte erzählen liess und dann davonging. Uebrigens lässt mich jedes Weib kalt, das zu willig ist oder sich mir mit zu deutlichen Absichten nähert. Gehst du zum Weibe, vergiss die Peitsche nicht! dies W^’ort aus dem Zarathustra ist mehr nach meinem Sinn.“

Fall IX.

Herr I., 37 Jahre alt, früher Offizier in der amerikanischen Armee, schreibt: Ich habe zwei Feldzüge mitgemacht und darf wohl sagen, dass ich mich tapfer gehalten und die militärische Medaille, die ich erhielt, verdient habe.

Körperlich bin ich durchaus männlich entwickelt; Geni- talien sind normal gebildet, und ich habe immer den c o i t us cum f e m i n a geübt. Doch habe ich mich seit meiner Kind- heit innerlich immer weiblich gefühlt. Schon mdt 14 Jahren reizte es mich merkwürdig, als ich einen Knaben in Mädchenkleidern sah, und seitdem interessierte ich mich stets für Männer, die wie Frauen aussahen oder gekleidet waren. Von Homosexualität hatte ich bis zu meinem 20. Jahre nie etwas gehört, und auch dann begriff ich davon nichts. Mein erster coitus cum femina fand im 20. Jahre statt, und der Gedanke an einen Beischlaf mit Männern hat mir (mit einer einzigen Ausnahme) immer Ekel verursacht.

Mehr und mehr ü h e r k a m mich der Drang, mich als Dame zu verkleiden, bis er un- widerstehlich wurde. Insgeheim zog ich so oft wie möglich Frauenröcke oder son- stige Stücke der Damentoilette an, und nur mein Schnurrbart hinderte mich daran, ganz im Kostüm auf die Strasse zu gehn.

Es kommt mir vor, als sei mein Körper im Laufe der Zeit etwas weiblicher geworden. Ich habe jetzt eine schmale Taille, starke Hüften, mammae wie ein 15 jähriges Mädchen, weisse glatte Haut und kleine Füsse.*) Meine Hände sind von mittlerer Grösse und mein Gesicht ist durchaus männlich. Und doch, wenn ich Perücke und Kostüm anhabe, den Schnurrbart verdecke und gepudert und geschminkt bin, komme ich mir ganz wie ein Mädchen vor. Kokotten sagten mir öfters: Vous avez un beau corps de femme! Meine Kor- settweite ist allerdings 68 cm, aber doch einigermassen im Verhältnis zu meiner ganzen Länge; in seidener Chemise. Calegon und rosa Unterrock sehe ich ganz wie ein kräftiges wohlproportioniertes Mädchen aus. Und bin ich derart ange- zogen, dann fühle ich mich so wohl, so „ä mon aise“, dass ich mich höchst ungern wieder umziehe. Im Korsett atme ich immer mit der Brust wie eine Frau.**)

*) Da der in England weilende anonyme Einsender nicht zu erreichen war, Hessen sich diese Angaben nicht nachkontrollieren und müssen dahinge- stellt bleiben.

•*) Diese Bemerkung ist interessant genug, um einen Exkurs zu ent- schuldigen. Der Unterschied zwischen Costal-Atmung der Frau und Abdo- nünal-Atmung des Mannes ist in unseren Breiten evident, von den Physi- ologen einmütig konstatiert, und folglich als sekundärer Ge- schlechtscharakter zu bezeichnen. Um so mehr, als beim Kinde der Unterschied noch nicht deutlich ist. Dass andrerseits bei heftiger, gewalt- samer Inspiration der Unterschied sich verwischt, ist erklärlich aus der Anspannung aller accesso rischer Muskelzüge, die irdengwie eine Volumens- vorgrösserung des Thora.x herbeizuführen imstande sind. Die geläufigste Kausaltheorie hierüber besagt, dass ein Zusammenhang bestehe zwischen der möglichen Gravidität und dem geringeren Herabsteigen des Zwerchfells beim weiblichen Atomtypus. Soweit schien alles in Ordnung. Neuerdings aber ist behauptet worden, die Brustatmung des Weibes sei ein Kunstprodukt des Korsetts, was in den Kreisen der Reform-Hygieniker nicht ungern gehört

72

In der Regel verkleide ich mich nur, wenn meine Freun- din bei mir weilt; manchmal ist der Trieb aber so stark, dass ich im Kostüm masturbiere. Die Sehnsucht, mich ganz als Frau zu fühlen, verleitet mich auch dazu, den Coitus „auf mich selbst“ zu machen, mit Wachskerzen, Zigarren u. dgl. (Gemeint ist offenbar eine Bewegung inter femora mit diesen Gegenständen, als scheinbare äussere Erfüllung des begleiten- den Phantasiebildes). Ich muss hier auf das zurückkommen, was ich oben die „einzige Ausnahme“ nannte. Ich sehne mich mit ganzem Herzen danach, einmal eine Kokotte zu sein und die Nacht mit einem „strammen Kerl“ zubringen zu dürfen. Nicht nur die paedicatio, sondern auch die irrumatio müsste er an mir vornehmen.*)

Der Hauptinhalt meiner Sehnsucht also ist, vollständig Frau zu sein. Ein ausser- ordentlicher Reiz wäre es für mich, dürfte ich mich ganz rasieren, schminken, als Frau kleiden; allerdings, recht elegant, „d e r n i e r er i“. doch nicht zu ..c r i a r d“, U n -

wurde. Entscheidend wäre die Beobachtung an korsettlosen oder besser noch unbekleideten Rassen. Da die Literatur darüber nur wenige und wider- sprechende Angiben enthalt, wurde die Frage dem Vorstande der Berliner authropol. Gesellschaft unterbreitet, und es stellte sich heraus, dass in der Tat kaum ein Forscher auf den Atemtypus der Primitiven geachtet hätte. Das Beispiel N. 0. Bodys (aus eines Mannes Mädchenjahren, Berlin 1907) scheint mir indessen beweisend genug, um vorläufig an dei- alten Auffassung vom sekundären Grschlechtscharakter des Atemtypus festzuhalten. N. 0. Body, mil Hypospadia peniscrotalis geboren, lebte bis in die zwanziger Jahre als Weib und schnürte sich sehr stark, um Taille zu erzeugen. Ich untersuchte ihn kurz vor seinem Personcnstandwcchsel \md fand den ausgebildetsten abdomi- nalen Atemtypus. Er gab an, er hätte oft gefürchtet, dass hinter ihm sitzende Personen aus dem mangelnden Heben und Senken seiner Schultern seine männliche Natur aufdecken würden. Die angebliche Korsettwirkung hat also in diesem eklatanten Fall völlig versagt. Deshalb, glaube ich auch, kann man die obige Angabe des Anonymu.s ruhig ins Reich der autosuggestiven Wirkung erweisen, ebenso wie verschiedene andere Bemerkungen über seine Körperlichkeit.

*) Aus dem früher geäusserten Ekel gegen den Verkehr mit Männern geht wohl hervor, dass es sich hierbei nur um eine ausmalende Phantasie auf dem Grunde des originären heterosexuellen Kostümtriebes handelt.

73

ter wasche fein und seidig, schmale Schuhe, viel Stickerei, kunstvolle Hüte, kurz wie eine brillant unterhaltene Kokotte.

Von sonstiger Homosexualität aber ist keine Spur vorhanden. Urninge und effe- minierte Männer verachte ich tief. Die Idee einer Paedicatio, ohne im Kostüm zu stecken, erscheint mir scheusslich; werde ich aber zur passiven Frau in Kleidung. Haltung und Sinnesart, so finde ich den Geda-nken natür- licher, ja sogar reizvoll. Meine „grande passion“ habe ich nie verwirklichen können; will ich aber die „ejaculatio suprema“ geniessen, so stelle ich sie mir recht eindringlich im Geiste vor.

Ich bin guter sportsman, Schütze, reite gut und habe mich in Feldzügen bewährt. Dennoch- fühle ich mich in Damenge- sellschaft freier und wie von einem unsichtbaren Bande ge- zogen. Sehe ich eine Mutter ihr Kind säugen, so seufze ich; „Hätf ich doch auch solche Brüste und könnte Milch abgeben!“ Kinder allein interessieren mich wenig.

Fall X.

Herr K., 50 Jahre alt, Lehrer. Von den Vorfahren oder der Verwandtschaft her ist nichts Degeneratives zu ermitteln. Die Kindheitsentwicklung verlief ohne Besonderheiten. War etwas schreckhaft. Zog Mädchenspiele vor (Kochen, Häkeln, Stricken). Schwärmerische Freundschaft zu zwei Mitschülern bestand, ohne geschlechtliche Handlungen. Geschlechtsreife trat im Alter von 18 20 Jahren ein.

Status praesens: Figur gross und kräftig. Kon- turen mehr rund und fett. Muskulatur schwach entwickelt. Für Sport besteht keinerlei Interesse. Haut weise, glatt und i-ein. Haupthaar kräftig, Körperbehaarung schwach, Bart- wuchs mittelstark. Errötet und erblasst leicht. Kehlkopf wenig hervortretend. Ist Stimmungen leicht zugänglich, gibt Klatschhaftigkeit zu. Möchte Putzmacherin sein.

74

Vita sexualis; Herr N. veröffentlichte bereits im Jahrouch für sexuelle Zwischentiifen, Bd. 2, 1900, p. 324 bis 344, unter der Ueberschrift „Ein Fall von Effemination mit Fetischismus“ eine ausführliche Darstellung seines Falles. Er bezeichnet sich dort irrtümlicherweise als Urning, während er selbst ausdrücklich angibt, sein Geschlechts- trieb sei stets auf das Weib gerichtet ge- wesen. Allerdings behauptet er, Frauen gegenüber gleich- gütig zu sein, sich vor nackten Weibern zu ekeln und vor dem Koitus Widerwillen zu haben. Auch habe er einmal ge- träumt, er sei ein Weib und werde von einem Manne ge- schwängert; worüber er aufwachte und die ganze Nacht in grosser Erregung verblieb. Aber alle diese Umstände er- klären sich zwanglos aus seinem Kostümtrieb.

Den oben erwähnten, sonst sehr präzisen Mitteilungen fügen wir hier noch folgende neuere Angaben hinzu;

.,Meiner Neigung zu Frauenkleidern entsinne ich mich schon aus den ersten Schuljahren. Von äusseren Einflüssen, etwa Maskeraden oder dergl.. ist mir nichts bewusst. Schon die blossen Namen einzelner Kleidungs- stücke, wie Damenkleid, Schürze, Schleier, Unterrock, hatten für mich et wasZa uber- haft es. Sobald es mir irgend möglich war, zog ich mir schon als Knabe fremdeDamen- sachen auf Augenblicke an. Später schaffte ich mir alles Begehrenswerte selber an. Es wurden Schränke gekauft, die sich bald mit den schönstenToiletten füllten. Wohl 20 25 Jahrgänge gekaufter Modejournale wurden Seite für Seite betrachtet, die schönsten „Kostüme“ herausgeschnitten und der Schneiderin eingeschickt, damit diese danach verfahre. Alle möglichen Stoffe, Samt, Seide, Wolle, fanden Ver- wendung. Muster zur Auswahl lieferten die ersten Spezialgeschäfte.“

„Folgendermassen verfuhr ich, wenn ich die Anfertigung von Kleidern in Auftrag gab. Der Schneiderin wurde eine

75

fertige Taille mitsamt dem neuen Stoff eingesandt und dabei mitgeteilt, man wolle ein Kostüm zum Geburtstage ver- schenken; Massnehmen sei daher nicht gut möglich. So machte sich die Sache. Fand sich nahher ein Mangel in der Passform, so ging das Kleidungsstück behufs Abänderung zu- rück, und der Fehler war bald beseitigt. Garnituren, wie Seidenspitzen, Einsätze und sonstige Kleiderbesätze (Galons, Posamentborten, Tressen mit Chiffon-Applikation, gestickte Chiffonbesätze, seidene Fransen, Grelots, Plisse usw.) wurden persönlich eingekauft und dem zu verarbeitenden Stoffe bei- gelegt. Mitunter garnierte ich die Kleider selber damit, nähte auch Zierknöpfe aus Glas oder Gold an. Die Beschaffung von Unterröcken und dergl. ist natürlich einfacher. Zu Gürteln kaufe ich Bänder und Schnallen und fertige sie dann selbst an. Schleier habe ich in grosser Zahl, getupfte und schlichte, in allen möglichen Farben und den Kostümen entsprechend; eben- so Hüte, Baretts, Capuzen, Schulterkragen, Jacketts, Woll- tücher; ferner Schürzen aus Wolle, Seide usw. als Reform-, Tändel- oder Wirtschaftsschürzen. Die Unterröcke haben meist die Farbe der Kleider. Armbänder, prachtvolle Hals- ketten, goldene Broschen und Ohrringe sind zahlreich vor- handen, auch Perücken. Kleiderstoffmuster, Garnituren, seidene und Samtbänder in aller Breiten und Farben füllen ganze Schachteln aus.“

„Sobald ich in einem Schaufenster hübsche Schürzen, Halsketten, Hüte oder auch nur zierliche Sicherheitsnadeln sehe, sofort muss ichs kaufen. Ueberhaupt betrachte ich die Auslagen von Damenkonfektionsgeschäften stets mit dem grössten Entzücken. Vor Photographenkästen interessieren mich nur Figuren in reizendem Kostüm. Ansichtskarten mit kostümierten Damenbildnissen habe ich in Menge. Besondere Vorliebe besteht bei mir für rote Kleider, jede Art seidenen und weissen Musselins und für Spitzenunterröcke. Der Ge- nuss, welchen ich durch die Kleidungsmetamorphose hatte und noch habe, lässt sich nicht aussprechen.“

„Ich dränge mich gern an schön gekleidete Damen her- an und wünsche erregt, in ihrer Kleidung zu stecken. Ich vergleiche ihre Figur mit meiner, ob mir das Kleid wohl

(6

passen würde. Ich sitze auch gern so zwischen Damen, dass ihre Kleider meine Beine zum Teil verdecken. Ich betaste gern zarte Stoffe. Habe ich innerhalb des Hauses Gelegenheit, in einem unbewachten Augenblick den schönen Hut einer fremden Dame aufzupassen, so tue ichs sicherlich vor dem Spiegel. Von hübschen Mäd- chen bin ich ein Freund, besonders wenn sie Kleider nach meinem Geschmack tragen, ln schlaflosen Nächten, die zahlreich Vorkommen, beschäftigt meine Phantasie sich ge- wöhnlich mit hübschen Damentoiletten. Beim Zeitungs- lesen sehe ich zuerst nach vermischten No- tizen, ob nicht mitgeteilt wird, dass ein Mann wieder als Frau gekleidet ging. Männer in Damenkleidern haben einen un- gemeinen Reiz für mich."

„Geselligen Vereinigungen bin ich Feind. Ich liebe die grösste Einsamkeit und verzichte gern auf Festlichkeiten und Vergnügungen. Mein Genuss ist, für mich in der Stille angetan mit Korsett, feinen Unter- röcken, entzückenden Kleidern, Hut, Schleier, Armbändern und Halsketten vor dem Spiegel zu stehn, mich zu betrachten, oder Modejournale zu durchblättern. -Ueber- glücklich wäre ich, könnte ich einmal des Jahrs mit gleich- gesinnten oder verständnisvollen Personen in einem einsam gelegenen Hause für einige Zeit zusammen sein; oder wenn ich bei hellem Tage, wenn auch nur auf kürzern Wegen, als Dame gekleidet mit wirklichen Damen promenieren dürfte. Früher erlaubte ich mir diese Passion manchmal des Abends auf einsamen Spaziergängen; doch habe ich das auf- gegeben, weil mir die Sache zu gefährlich war.“

Homosexuell bin ich nicht, im Gegenteil, ich kann sagen, ich bin ein echter Don Juan gewesen. Ein besonderes Vergnügen war es mir, hübsche Mädchen zu küssen, ihre weichen Kleider zu betrachten und zu befühlen; fragte auch gewöhn- lich nach dem Preise, nach der Schneiderin und wie lange man wohl ein solches Kleid tragen könnte usw. Modebilder hatten für mich grossen Reiz. Gelegenheiten, ihrer habhaft zu

werden, liess ich nie unbenutzt vorübergehen. Ich kaufte mir ganze Jahrgänge Modezeitungen. Im „praktiechen Wegweiser“ erliess ich einst ein Inserat, laut welches ich ver- schiedene Jahrgänge Modenjournale suchte; von den zahlreich eingegangenen Offerten machte ich ausgiebigen Gebrauch. Von einem Buchhändler in Heidelberg kaufte ich vor Jahren ver- schiedene Jahrgänge „Pariser Moden“. Auch bin ich Abonnent von der „Wiener Mode“, der „Moden weit“ sowie der “Grossen Modenwelt“ gewesen. Schaufenster der Damenkon- fektions-Geschäfte ziehen mich ungeheuer an, mögen es solche mit Kleidern, Blusen, Jacken, Schürzen oder Hüten sein, der Reiz ist immer gross.

Früher glaubte ich, meine eigentümliche Veranlagung würde mit zunehmendem Alter verblassen oder ganz auf- hören, aber das Gegenteilige ist der Fall; die Neigung ist augenblicklich grösser denn je, sie ist angeboren und wird darum auch wohl nicht nachlassen. So habe ich mir z. B. in voriger Woche den Modekatalog von AVertheim und noch einer anderen Firma kommen lassen, ferner das Modealbum der Schnittmanufaktur in Dresden und „Butterichs Moden- revue“. Meine Eltern waren ganz normal, dasselbe kann ich auch von meiner kürzlich verstorbenen Schwester sagen. Ich habe nur noch einen Bruder, der ebenfalls normal ist. AA’ir Kinder lebten unter uns und mit den Eltern stets in bestem Einvernehmen. Für meine vor einigen Jahren verstorbenen Eltern (sie wurden 81 und 83 Jahre alt) habe ich stets die grösste Achtung und kindliche Verehrung gehabt.

Ich füge ein Verzeichnis meines Toilettenbestandes bei;

Nr. 1. Kleid aus carminrotem Caschmir mit Samtbesatz und glitzernden Metallknöpfen.

Nr. 2. Rotes Kleid (etwas andere Nuance als Carmin) mit Pelzbesatz.

Nr. 3. Ein Kleid aus bordeauxähnlichem Rot mit schwarzem Samteinsatz und prachtvoller Bordengarnierung.

Nr. 4. Kleid aus scharlachrotem AA''ollstoff, Kragen und Brusteinsatz aus fleischfarbenem Taffet.

Nr. 5. Schwarzes AVollkleid mit Perlenbesatz.

Xr. 6. Ein kaffeebraunes Kleid von ziemlich einfacher Machart.

Nr. 7. Ein blaues Kleid mit. schwarzer Borde garniert, die Taille mit gelbem Brusteinsatz, dazu Gürtel mit gelber Schleife.

N'r. 8. Dunkelgrünes Kleid mit hellgrünem Samteinsatz.

Nr. 9. Hellgraues Wollkleid mit hellrotem Einsatz und Kragen.

Nr. 10. Rotseidene Bluse mit schwarzseidenem Rock.

Als Hauskleider;

1. Ein braunmeliertes Prinzesskleid.

2. Ein grün und rot karriertes Kleid mit Samtkragen, Aermel mit roten Samtaufschlägen.

3. Ein helles Wollkleid mit Samtkragen.

Jacken:

1. Schwarze Krimmerjacke mit Besatz.

2. Braune Tuchjacke sowie einen Schulterkragen aus schw'arzem Crepp.

Unterröcke;

Ein blau- und weissgestreifter Unterrock mit Volants.

Ein schwarz- und rotgestreifter Unterrock mit Spitze.

Ein braunmelierter Unterrock mit Volants.

Ein Ueberziehrock aus rotem Kaschmir mit Volants. Schürzen;

Eine chamoisfarbene Trägerschürze mit rotem Besatz.

Eine blaukarrierte Wirtschaftsschürze mit Latz.

2 schwarze, wmllene Tändelschürzen.

Eine blaubunte Schürze mit weisser Spitze garniert.

Eine schw'arze Alpaccaschürze.

Eine weisse Battistschürze mit Stickerei (die schönste).

Sodann besitze ich noch:

Eine weisse Battistunterhose mit Stickerei.

2 Korsetts, Strümpfe, eine braune Haube.

Ein blaues, gehäkeltes Schultertuch.

Ein schw'arz- und weisskarriertes Tuch.

Ein gewöhnliches Wolltuch.

Einen Filzhut mit resedafarbenem Band garniert und mit 2 Flügeln (von Vögeln) versehen.

79

Einen olivfarbenen Hut mit Phantasiefedern.

Ein Samtbarett mit weissen Phantasieiedern.

4 Broschen, teils echt, teils unecht.

2 Paar Ohrringe.

2 Armbänder.

Schleier;

2 schwarze mit Tupfen, 2 weisse mit Tupfen, 2 einfache weisse.

Eine Kollektion Rüschen, eine Kollektion Spitzen in weiss und schwarz, teils baumwollene, teils seidene.

2 Gürtel aus rotem Samt, einen schwarzen, einen Silber- und Goldgürtel mit feinem Schloss.

2 Perücken, 2 Haarpfeile, 2 Haarschmucknadeln mit dicken Köpfen sowie einen Haarkamm mit 5 blanken Knöpfen.

Ungefähr ein Dutzend Halsschmuckketten in schwarz, weiss, grün, blau, opalfarbig usw.

Eine grössere Sammlung von Besatzstoffen in allen Farben und Stoffen.

Eine Sammlung von Seidenbändern in allen Farben und Breiten.

Eine grosse Sammlung von Damenkleidermustern in Wolle, Baumwolle und Seide in vielen Webarten und Farben.

Hiermit wäre mein Bestand zu Ende.

Fall Xf.

Herr S., 40 Jahre alt, Techniker, verheiratet. Vater

war Potator; im übrigen ist zur Frage der Degeneration nichts zu ermitteln. Die Kindheit verlief normal, nur Gehen erlernte er erst Ende des zweiten Jahres Liebte immer Knabenspiele. Im 17. Jahre trat die Geschlechtsr^fe ein.

Status praesens; Figur klein, Konturen eckig und mager. Muskulatur schwach. Wird beim Turnen leicht schwindlig. Haut unrein und rauh. Haupthaar ausgegangen; Körperbehaarung stark; Bartwuchs sehr stark. Errötet leicht. Kehlkopf wenig hervortretend. Stimme laut und tief. Leidet seit längerer Zeit an seelischen Depressionen, da bei

so -

seiner Frau alle Anzeichen der Paranoia aufgetreten sind. Ist Autodidakt, geistig sehr regsam.

Vita sexualis: lieber diesen Fall, der sich im

Jahre 1904 an mich wandte, hatte Iwan Bloch (Sexual- leben unserer Zeit, 4. Aufl. p. 598 601) die Güte, bereits eine ausführliche kasuistische Notiz zu veröffentlichen. Hier mögen die vollständigeren Aufzeichnungen des Herrn L. vom Ende des Jahres 1907 folgen.

„In meinem 15. Lebensjahr wurde ein Verlangen in mir wach, das wie Hunger und Durst nach Befriedigung heischte, und dem ich anfangs rein instinktiv folgte. Zuerst zogen mich alle in den Schaufen- stern ausgestellten weiblichen Beklei- dungsstücke mit unwiderstehlicher und rätselhafter Gewalt an. Ich konnte es nie unter- lassen, vor solchen Schaufenstern stehn zu bleiben und be- sonders schöne Spitzenunterröcke und dergleichen längere Zeit zu betrachten. In Schuhgeschäften hatte ich nur Augen für Damenschuhwerk. Alle Auslagen, die irgend etwas mit der Damenwelt zu tun hatten, wurden von mir zunächst darauf- hin gemustert, ob ein Gegenstand nach meinem Geschmack dabei wäre. Hatte ich einen solchen entdeckt, der mir gefiel, so war sofort auch das Verlangen da, ihn nicht nur kaufen, sondern auch tragen zu können. Eine fast unüber- windliche Sehnsucht fasste mich, nach weiblicher Art gekleidet zu gehn; ich hätte zu gern Damenwäsche angelegt, mich geschnürt usw.“

„Mein eigentümlicher Hang brachte es mit sich, dass ick dem weiblichen Geschlecht gegenüber scheu und verlegen wurde. Ich mied vom 16. Jahre an, so gut es ging, den Um- gang mit weiblichen Wesen. Ich lernte deshalb auch nicht tanzen, fühlte mich aber doch beständig zum Weibe hingezogen und wäre am liebsten schon da- mals in einer Gesellschaft von gleichaltrigen Mädchen ver- kehrt.“

81

„Eines Tages wurde mein Drang so stark, dass ich ihm nicht mehr widerstehn konnte. Ich war damals ungefähr 16)4 Jahr alt. Als niemand zu Haus war, nahm ich ein Korsett meinerSchwester aus dem Kleider- schrank und begann mich zu schnüren. Andre Kleidungsstücke standen mir nicht zur Verfügung. Hier- bei trat nun die erste Erektion ein. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete, und zog halb er- schrocken das Korsett wieder aus. Ich war über den ganzen Vorgang innerlich unzufrieden, denn ich hätte das Korsett viel lieber anbehalten. Nach einigen Tagen wiederholte ich, einem unklaren Drange folgend, das Schnüren. Hierbei trat ohne mein Dazutun wiederum Erektion ein, imd ehe ich das Korsett noch entfernen konnte, auch Ejakulation. Zugleich empfand ich heftige Sehnsucht nach einem mir damals bekannten Mädche n.“

„Ich unter liess es nun für lange Zeit, irgend ein weib- liches Kleidungsstück anzuziehn. Ich begann vielmehr einen Kampf gegen meinen Drang. Ich lernte zu dem Zweck Zither spielen, was mir wegen Mangels an musikalischem Gehör sehr schwer fiel. Auch in einen evangelischen Jünglingsverein trat ich ein, dem ich wohl an zwei Jahre angehörte. Doch half dies alles nichts. Je älter ich wurde, um so mächtiger wurde auch mein Verlangen, mir Damenkostüme und Wäsche anzu- schaffen. Ich hatte mir vorgenommen, sobald ich aus- gelernt, mir ein komplettes Kostüm anzuschaffen, und ich zerbrach mir schon den Kopf darüber, wie ich das am besten anstellen sollte, da. brachte mich ein bestimmtes Ereignis von diesem Vorsatz zunächst wieder ab.“

„In X. war zufällig eine Künstlertruppe anwesend, und ich bekam ein Billet für den Abend. Ich war bereits 19)4 Jahr alt, und hatte noch nie eine Vorstellung besucht, wusste auch nichts von Damendarstellern. Durch das Ge- spräch zweier Herrn, die vor mir sassen, wurde ich erst darauf aufmerksam, dass die Vortragende Dame männlichen Geschlechts sei. Einer der Herren liess dabei eine Bemerkimg fallen über die Neigungen, die derartige Individuen ihrem

Hirsch leid, Die Transvestiten. 6

82

eigenen Geschlecht gegenüber haben sollten. Dem andern schien das nicht recht glaubhaft, aber der erste versicherte, er Mvdsse es ganz genau, jedes männliche Individuum, das sich weiblich kleide, gehöre zu jener Rasse von Menschen. Ich

ging an diesem Abend sehr niedergeschlagen nach Haus und verbrachte eine schlaflose Nacht. Noch lange klangen mir diese Worte im Ohr. Wie kam hier jemand dazu, über seine Mitmenschen ohne weiteres den Stab zu brechen und etwas zu behaupten, was unmöglich wahr sein konnte! Denn ich fühlte trotz meiner Sehnsucht nach Weiberkleidern nicht die Spur von einer Neigung zum Manne in mi r."

„Es dauerte indes nich^ allzulange, so fing ich wieder an, unruhig zu werden, trotz dem Gehörten. Mein Interesse wandte sich Modezeitungen zu; ich beschäftigte mich damit, erst im Geist, dann auf dem Papier Kostüme zu entwerfen, wie ich sie gern getragen hätte. Ich traf Ausw'ahl in Farbe, Stoff, Besatz und Futter usw^ Doch verspürte ich nie die geringste Neigung, derartige Kleider selbst anzufertigen oder sonst weibliche Arbeiten auszuführen.“

„Vom 20. Jahr an bis in die Mitte der Dreissiger konnten mich Kostüme, Unterröcke, Stiefel, Korsetts und Leibwäsche, die ich in den Schaufenstern ausgelegt sah, durch ihre Mach- art und Farbe förmlich entzücken. Ich merkte mir bestimmte Lieblingsgegenstände und sah immer wieder nach, ob sie noch auslagen.“

„Nicht immer war der Kostümreiz in gleicher Stärke vorhanden. Erst trat er periodisch auf. und nach dem 20. Jahre konstant. So kam es, dass ich später den Widerstand aufgab und darüber nachsann, unter welchen Umständen ich meine Wünsche wohl am ehesten befriedigen könnte. Endlich, ich war 24 Jahre alt, fand ich eine Gelegenheit. Zur Wieder- herstellung meiner angegriffenen Gesundheit bekam ich einen Urlaub und durfte zu m.einen Eltern reisen. Hier entdeckte ich nach ca. 8 Tagen in meinem Zimmer einen Koffer, der ein vollständiges Kostüm nebst Unterkleidern, Schuhen und Ballkorsett enthielt; alles Sachen, die meine Schwester zu einem Fest getragen hatte. Ich konnte den Abend nicht er-

83

warten, an dem sich die Eltern zur Ruhe begeben würden, sondern fing gleich an, vor dem Spiegel Stück für Stück an- zuprobieren, und konstatierte mit Freuden, dass mir alles ziemlich gut passte. Ein nie gekanntes Gefühl des Wohlbehagens durchrieselte mich da- bei. Am liebsten wäre ich gleich auf die Strasse geeilt, um mich in dieser Tracht zu zeigen. Auch befiel mich die Sehnsucht nach einemWeibe, wie ich es mir wünschte, von schlanken, aber gut entwickelten Formen und vollen Haaren. Hätte ich auf die Strasse eilen dürfen, so wäre es mein erstes gewesen, mich einem solchen Weibe zu nähern. So lange ich bei meinen Eltern weilte, unterliess ich es keinen Abend, sobald ich mich sicher wusste, eine Stunde im Kostüm zu bleiben. Das Wunderbarste war, dass ich mich jetzt rasch und in kürzester Frist erholte, während ich vorher 6 Wochen lang vergeb- lich ein Sanatorium besucht hatte. In diesen 14 Tagen, die ich damals meinem Verkleidungstrieb nachgab, wuchs meine Sehnsucht nach dem Weibe ausserordent- lich. Ich wünschte, ein Weib möchte an mir im Kostüm Gefallen finden; dannhätte ich ganz glücklich sein können.“

„Abermals begann ich den Kampf gegen den Kostümreiz; doch vergeblich. Vorübergehende Damen musterte ich inten- siv auf ihre Kostüme, Hüte, Stiefel und Frisuren hin; war eine recht chic, so empfand ich eine lebhafte Freude. Manch- mal erregte schon das Rauschen eines Rockes hinter mir den Wunsch, auch so gekleidet zu sein. Wenn ich geistig auch noch so stark von irgend einem Thema absorbiert war, es genügte der Anblick eines vorbeischwebenden Tailor-raade- Kostüms, um mich sofort abzulenken. Dagegen waren nachlässige Kleider, Reform - und Sack kostüme, sowie traurige weibliche Ge- stalten überhaupt auf mich vollständig w i r k u n g s 1 o-s.“

fi»

84

^Natürlich tauchte allmählich auch der Wunsch leben- diger in mir auf, auch körperlich wenigstens soweit Weib sein zu können, dass ich mich im Kostüm auf der Strasse hätte richtig und unauffällig bewegen können. Hieran hinderte mich vor allem mein starker Vollbart, den ich schon mit 18 Jahren hatte.“

„Ich sann beständig darauf, wie ich zu weiblicher Klei- dung kommen könnte. Wäre ich zu einer Schneiderin ge- gangen. so hätte ich ausser manchem andern befürchten müssen, dass die Anproben mich erotisch erregten und dass ich, sobald einmal ein Weib erst meinen Hang kannte, da- durch in ihre bedingungslose Gewalt geraten würde.“

„Ursprünglich war mein männliches Wiesen mit meiner femininen Veranlagung durchaus nicht einverstanden, und es kostete einen harten Kampf, bis ich mich zu dem Selbstbe- kenntnis entschloss, dass ich ein Mischling beider Geschlechter sei. Ich fügte mich also ins Unabänderliche.“

„Ich möchte noch ausdrücklich be- merken, dass meine Sinnlichkeit in erster Linie auf die Befriedigung meinerKostüm- sehnsucht gerichtet ist, und dass dem gegenüber alle andern Wünsche zurück- treten. Wenn ich aber irgend welche weiblichen Klei- dungsstücke an mir hatte, so trat sofort sexuelle Erregimg ein und gleichzeitig das Verlangen nach einem bestimmten Typus Weib. Niemals in meinem Leben fühlte ich mich zu einem Manne hingezogen, auch im Kostüme nicht. Auch minderjährige weibliche Wesen üben keinen Reiz auf mich aus. Den Koitus führe ich in normaler Weise aus, lege jedoch stets vor dem Akt Damenleibwäsche an. Soll der Akt für mich befriedigend verlaufen, so muss ich die nötige Ruhe dazu haben. Auch an zarteren manuellen Liebkosungen, Küssen usw. finde ich dabei viel Gefallen.“

„W'enn ich manchmal sah, wie zwei intime Freundinnen Arm in Arm miteinander gingen oder sich um die Taille fassten, hätte ich sofort immer eine der beiden sein mögen. Später, als ich mehr von den Abarten der Liebe erfahren

85

hatte, erfüllte mich stets Neid, wenn ich mit ansehn musste, wie zwei Freundinnen zärtlich taten. Dies erregte mich auch erotisch.“

„Mit 21 Jahren schaffte ich mir eine Braut an; dieser gegenüber hatte ich nur das Verlangen, ich möchte an ihrer Seite weiblich gekleidet gehen dürfen. Oft wünschte ich, ich möchte wie eine Zwillingsschwester von ihr gekleidet gehn, d. h. absolut gleich an Farbe, Schnitt usw. Mehr als hundert Mal hatte ich mir vorgenommen, meiner Braut ein Geständnis über meinen Zustand abzulegen; doch hielt mich immer folgen- des davon ab: Ich fürchtete erstens, meine Braut könnte schon Schlechtes über eine solche Veranlagung gehört haben; dann hätte ich bei ihr natürlich ausgespielt gehabt. Hätte sie mir aber nachgegeben und mir die Kostümierung erlaubt, so wäre ich erotisch erregt geworden und hätte der fleischlichen Versuchung nicht widerstehen können. So verschob ich die Lösung des Dilemmas immer von neuem. Liebkoste ich zu- weilen meine Braut und war in Gedanken bei der Kostüm- frage, so trat Ejakulation ein. Endlich, ein Jahr vor der Hochzeit, machte ich meiner Braut Eröffnungen über meinen Zustand.“

In einem uns zur Verfügung gestellten Gedichte sucht L. in etwas naiven aber charakteristischen Strophen seiner Braut seinen Zustand klarzulegen; er sagt, dass sie ihr Ab- bild doppelt in ihm finden werde, schildert ausführlich die einzelnen Kleidungsstücke, die e r tragen möchte, weil sie i h n zu höherem Glücke tragen würden und schliesst mit folgenden Worten:

„Nun frage ich Dich, Du holde Maid,

Mit der ich will tragen dasselbe Kleid, Dich, der ich mich jetzt anvertraute.

Die meine Doppelseele schaute,

Liebst Du mich dennoch wie ich bin.

Dann nimm mich für Dein Leben hin!“

Die Frau zeigte jedoch sehr wenig Verständnis und Ent- gegenkommen. „Später erst brachte ich sie so weit, dass sie mir ein Kostüm anfertigte; ich schaffte mir dann die da-

86

zu gehörigen Unterkleider nach meinen AVüniächen an. Jetzt konnte ich das Vei’laiigen, abends weib- lich gekleidet zu gehn, nicht mehr unter- drücken; es war um so heftiger, wenn bei Tage irgend ein Vorkommnis dazu Anlass gegeben hatte. Ich vertröstete mich dann immer auf den Abend, wo ich Befriedigung er- hoffte. Wurde aber nichts damit, so geriet ich in Miss- stimmung, ich war ärgerlich, mir war unbehaglich zu Mute, und ich konnte mich oft beim besten Willen nicht in eine be.5sere Stimmung versetzen. Sogar das Essen wollte mir nicht schmecken. Konnte ich mich aber einige Tage hinter- einander weiblich kleiden, so wuchs meine Lebensfreudigkeit und Arbeitslu.'t ungemein.“

„Meine Frau betrachtete die Angelegenheit zuerst als eine merkwürdige Leidenschaft, später begann sie mit Vor- würfen. ich sei „pervers“. Nachbarinnen mochten sie aufge- hetzt haben. Schliesslich nahm das überhand, und sie machte mir Jahre hindurch das Leben zur Hölle. Es bildete sich bei ihr der Verfolgungswahnsinn heraus, ich sei ein Sittliclikeits- verbrecher und vergreife mich an meinen eigenen Kindern. Was ich in dieser Ehe alles zu leiden hatte, lässt sich über- haupt nicht wiedererzählen.“

Es sei bemerkt, dass die Frau sich seit ca. 3 Jahren wegen Paranoia in einer Irrenanstalt befindet.

Fall XII.

Herr M., Jurist, Mitte der Zwanziger. Aus der Vor- fahrenreihe und Verwandtschaft ist nichts Belastendes zu er- mitteln. Die Mutter soll nervös sein. Mit 4 Jahren machte er eine leichte Gehirnerschütterung durch. Von der Muttei her vererbte sich Schielen auf dem linken Auge, das durch Operation gehoben wurde. Er litt öfter an Kopfschmerzen, war etwas schreckhaft, neigte zum AVeinen. Spielte stets lieber mit Mädchen als mit Knaben.

Status praesens: Figur gross, aber schlank und zart. Seine Hüften häit er für übermässig breit, doch sind sie

87

es nur in geringem Grade. Konturen mager. Arme und Schenkel abgeflacht. Hand klein und zart. Muskulatur schwach ent- wickelt. Neigung zu ruhigen, wiegenden Bewegungen be- steht; für Sport aber wenig Interesse. Haut rein und glatt. Haupthaar normal, Körperbehaarung unbedeutend, Bartwuchs stark. Errötet leicht; Adamsapfel wenig hervortretend. Stimme tief, männlich; nach seiner Ansicht freilich leise und hoch. Ist Stimmungsmensch, intelligent, aber verbummelt. Das Gefühl, Luetiker zu sein, deprimiert ihn und macht ihn zu- gleich leichtsinnig. Dazu hat er einen Beruf vor sich, der ihm nicht zusagt. Phantasie sehr produlctiv. In der Ge- schichte sind Gestalten wie die Dubarry, die Pompadour oder Ninon de Lenclos sein Ideal. Zu leichten weib- lichen Handarbeiten, wie Nähen und Putz- machen, besteht Zuneigung.

Vitasexualis: Es wird am besten sein, wenn wir M. fast ganz mit eigenen Worten seine Vita schildern lassen, obwohl die mannigfachen, aus verschiedenen Zeiten stammenden Aufzeichnungen des Herrn M. jeder Systematik entbehren und sich vielfach wiederholen. So gut es geht, soll Ordnung in die Einzelheiten gebracht werden.

..Meine Erinnerung, soweit sie. Se.xuelles betrifft, reicht ungefähr bis zum 5. Lebensjahr zurück. Vom 6. Jahr an wird sie ziemlich klar und genau, während aus den früheren .Tahren nur einige markante Punkte hervorleuchten. Mein Vater starb, als ich das 6. Jahr vollendete. Ich entsinne mich genau, von ihm wegen der Onanie, die ich damals scheinbar offen und ohne böses Bewusstsein trieb, verwarnt worden zu sein. Ich muss also letztere jedenfalls schon vorher begonnen haben. Damals war ich in einige junge Damen unseres Be- kanntenkreises im wahren Sinne des Wortes verliebt, d. h, ich dachte es mir im Stillen himmlisch, wenn sie mich ent- führten, mich ganz zu sich nähmen, mich verhätschelten, ver- weichlichten, in Mädchenkleider steckten und verspotteten, kurz, wenn sie wie mit einer Puppe mit mir spielten. Ich genierte mich furchtbar, wenn icb in ihrer Gesellschaft war, und wurde von meinen Angehörigen sehr da- mit gehänselt, dass man sie meine Bräute nannte.“

88

„Was die Masturbation angcht, so betrieb ich diese un- gefähr bis zum 17. Jahre in der Weise, dass ich die Ober- schenkel fest aneinanderpresste. Dazu kamen immer be- stimmte Vorstellungen, wie ich sie eben schon skizzierte. Ich dachte mir ferner auch, dass mich die betreffenden Damen ganz in weiche Pelze oder in Watte einwickelten, bis ich völlig wehrlos war; ich musste auch mit ihnen im Bett Bchlafeu und bekam hie und da Schläge. Wann das erste Mal eine Ejakulation bei mir eintrat, vermag ich nicht zu sagen; ich glaube, sie stellte sich allmählich ein. Anfänglich machte ich aus der Masturbation keinerlei Hehl. Soweit es sich also um den körperlichen Vorgang handelte, merkten meine Angehörigen die Sache bald. Zuerst wurde ich ver- mahnt und erhielt dann später jedesmal Schläge mit der Rute auf das blosse Gesäss, was doppelt widersinnig war, weil wir Kinder diese entehrende und schwere Strafe sonst niemals erhielten. Man bemerkte meine Verfehlungen meist daran, dass ich angegriffen aussah und stärker als sonst schielte. In der Schule masturbierte ich meist heimlich während der Stunde; ferner auch nachts, doch war der Reiz grösser, wenn ich wenigstens irgend etwas, z. B. die Hose, zwischen die Beine geklemmt hielt.“

„Ich spielte stets lieber mit Mädchen. Knabenspiele nur, wenn sie friedlich waren, da mich der leichteste Schmerz zum Weinen brachte. Sehr gern spielte ich mit Puppen, ferner Kochen, Ball, Mutter und Kind. Schule u. dgl. Ich lernte leicht stricken und konnte Stunden lang neben einem Kinderwagen hergehn und mit dem kleinen Kinde spielen. Man erklärte mir öfter, so etwas schicke sich nicht für einen Jungen; auch schämte ich mich selber dieser Regungen und versuchte, sie nach Möglichkeit zu unterdrücken. Ich sah mädchenhaft aus und wurde manchmal auch so genannt.“

„Eine seltsame Episode ist mir im Gedächtnis geblieben. Eines Mittags, als meine Eltern schliefen, holte ich mir heim- lich den Morgenrock meiner Mutter, zog ihn an, schwärzte mir das Gesicht mit gebranntem Kork und betrachtete mich so im Spiegel; dabei masturbierte ich. Ich wurde dann ent-

89

deckt und schämte mich furchtbar. Hier fällt mir auf; ich sträubte mich stets dagegen, mit meinen Angehörigen das Spiel „Schwarzer Peter'‘ (bei welchem dem Verlierer mit ge- schwärztem Kork ein Bart angemalt wird) zu spielen; mit dieser scheinbar törichten Schamhaftigkeit hat man mich immer aufgezogen. Mir scheint es wichtig, diese kleinen Ein- zelheiten mitzuteilen, weil gerade das, worüber ich mich öffentlich schämte, in meiner Phantasie heiss begehrt wurde. Ich stellte mir auch vor, die von mir geliebten Frauen verwandelten mich in einen kohlschwarzen Neger oder in einen weissbemalten buntausstaffierten Clown.“

„Vom Koitus erfuhr ich etwa mit 12 Jahren; er kam mir im Gegensatz zu meinen Phantasien direkt ekelhaft und schmutzig vor. Aber der Mensch gewöhnt sich an alles; ich konnte anfangs auch keinen Kaviar essen. Jedoch spielt der regelrechte Koitus auch heute noch in meinen Phantasien eine sehr nebensächliche Rolle.“

„Schon als Kind verspürte ich einen starkenDrang in ra i r , P r a u e n k 1 e i d e r an- zuziehn. Als mich ein Kindermädchen einmal zum Spass verkleidete, regte mich der Vorgang heftig auf. Doch wagte ich aus Furcht vor Entdeckung nicht, in dieser Richtung schon damals eigenmächtig zu handeln.“

„Mit 9 Jahren sah ich einmal gelegentlich einer Auf- führung, wie eine der von mir angebeteten Damen, in ihren Pelz gehüllt, vom Friseur geschminkt wurde. Seit jenem Tage spielen Schminke und Pelz, sowohl an meinem eigenen Körper wie an dem der Geliebten, eine bedeutsame Rolle in meinen Vorstellungen. Ich dachte mir später Frauengestalten nach eigenem Geschmack aus. Sie hatten meist goldblondes oder schneeweisses Haar, waren stark geschminkt und trugen einen Pelz. Ich stellte mir vor, ich sei in ihrer Gewalt, sie spielten mit mir, demütigten mich, Hessen sich von mir be- dienen, ich musste mit meinen Herrinnen schlafen, ihnen cunnum lambere etc. Sie steckten mich in die mannig- faltigsten, möglichst weibisch oder komisch aussehenden Ver-

90

kleidungeii. Aus diesem Grunde interessierte ich mich auch sehr für Kostüme, historische wie moderne; am meisten ge- fiel mir aber stets das weibische, weichliche Roccoco mit den weissen Perücken. Woher meine Vorliebe für weisses Haar stammt, kann ich nicht sagen. Ich halte aber die z. Z. um sich greifende Mode des grellblonden unnatürlichen Haares bei Frauen und ebenso den aufgetürmten Lockenbau für ein Zeichen einer Perversion, die der m e i n i g e n sehr ähnlich ist, und die scheinbar zu gewissen Zeiten auftritt; man denke an das alte Aegypten, an Spät-Rom, an die Roccoco-Zeit. ihre Haartracht und Sexualität.“ (Diesen Passus Hess ich hier ausnahmsweise stehn, weil diese Art der Philosophie für unsere Fälle typisch ist. Es wiederholt sich hier nur. was auch der ..Normale“ so gern tut, dass er nämlich die ganze Welt nur aus seinem Gesichtswinkel beschaut.)

„Mit 14 Jahren schaffte ich mir zum ersten Mal Schminke und Puder an und fertigte mir aus Wolle eine Damenperücke. Nächte brachte ich damit zu, vor dem Spiegel zu sitzen und mich mit Hilfe der Kostüme meiner Mutter als Frau zu ver- kleiden.“

„Ich machte später einmal den Versuch, mit Freunden eine Aufführung zu arrangieren, in der ich die Frauenrolle spielen wollte. Die Sache zerschlug sich, was mir im Grunde angenehm war, da ich es aufs äusserste scheute, in der Oeffentlichkeit irgend wie als weibisch aufzufallen.“

„Als ich mit 16 Jahren in eine sehr ungenierte Pension kam. schaffte ich mir Tricots an und wattierte sie an Brüsten und Hüften frauenhaft aus; ferner besass ich eine blonde Frauenperücke, eineweisse Clowns- perücke. einen Damenpelzmantel, Korse tt, weibliche Unterwäsche etc. und verbrachte meine Tage und Nächte damit, dass ich mich mit Hilfe einer Spitzenbettdecke oder sonst passender Gegenstände auf alle mögliche Weise maskierte. Natürlich stets recht weibisch und geschminkt. Die Betrachtung meines weibisch entstellten Spiegelbildes regte

91

mich stark auf; wollüstig empfand ich die Berührung des weichen Pelzes, die Behinderung durch das Korsett und die schnürende Kleidung, ja sogar das Ziehen der dick auf getra- genen Schminke erregte mich. Bei alledem stellte ich mir vor, es müsse viel schöner sein, wenn nicht ich, sondern je- mand anders, am besten ein Weib, mich in diese Lage versetze, mich zwänge, darin zu verharren und mich andern Personen zum Spott oder zur Bevninderung, oder um sic sexuell zu erregen, so zeigte.“

..Meine Gefühle waren also mehrfacher Art: Erstens sah ich da im Spiegel ein Wesen, dessen Aeusseres mich sexuell erregte. Zweitens erregten mich die Kleidungsstücke an meinem Körper, teils an sich, teils durch das Gefühl, dass es weibische waren. Drittens versetzte ich mich nach Möglichkeit in die Situation, als wäre sie von fremden Personen herbei- geführt und bedeute für mich als Mann eine schmach- volle Zwangslage.“

..Meines Erachtens will der Masochist 1. in der Gewalt des geliebten Wesens sein, 2. von ihm gedemütigt werden. Das erste lässt sich am besten erreichen durch Behinderung der körperlichen und möglichst auch der geistigen Bewegungs- freiheit. Ein Mittel hierzu ist äusserer Zwang (Fesselung u. dergl.); doch bleibt dabei die völlige geistige Bewegungs- freiheit bestehn. Ausserdem ist die Wirkung gering auf einen ernstlich widerstrebenden Menschen, der lieber in den Tod gehn würde, als dass er sich demütigen Hesse. Der Masochist will aber ernstlich widerstreben; denn seine ganze Kraft soll ja durch das geliebte Wesen bezwungen werden. Endlich würde es garnichts Demütigendes oder Erniedrigendes sein, wenn man durch eine zehnfach stärkere, keinen Widerstand duldende, brutale üebergewalt bezwrmgen würde; dies wäre im Gegenteil fast ein Heldenschicksal.“

,,Viel demütigender dagegen ist es. wenn der Mann dau- ernd in eine für ihn schmachvolle oder lächerliche Rolle hin- eingezwungen wird, in der er zwar äusserlich scheinbare Be- wegungsfreiheit besitzt, während es ihm dennoch jeden Augen- bHck ins Bewusstsein gerufen wird, dass alles, worauf der Mann sonst stolz ist, seine männlichen Fähigkeiten, seine

92

Stärke, sein Ernst, seine (Jeberlegenheit über das weibliche Geschlecht, gleichsam lahmgelegx sind. Jeden Augenblick fühlt er die Demütigung vor den Leuten und vor dem geliebten Weibe; dies stachelt ihn an, sich aufzulehnen. Aber nicht grobe, übermächtige Gewalt, sondern der eigene Schwächezu- stand, in den ihn das Weib klug versetzt hat, wird ihm zum Hindernis. Hilflos muss er zuschn, wie sie das Netz enger und enger zieht, wie sie ihn immer mehr schwächt und damit erniedrigt und demütigt. Gibt es eine grössere Demütigung, als w-e nn der körperlich starke Mann gezwungen wird, die Ge- stalt des Weibes anzunehmen? Für den

echten Mann, der zu den stolzesten seines Geschlechts gehört, ist die Befriedigung des Geschlechtstriebes nur ein Gebot der Gcsundheitserhaltung, eine zum Wohlbefinden nötige Körper- übung; sein grosszügiger, schaffender Geist wandelt sonst in höheren Bahnen und betrachtet die Frauen bloss als Ver-

gnügungsobjekt. Ein solcher Mann nun wird in die kleinen Grenzen des Frauengeistes gebannt; er wird ge-

zwungen. das zu sein, was ihm die Frau sein sollte, d. h. ein Werkzeug zur Befriedigung von Geschlechtstrieb und Laune. Der oben beschriebene Zwang wäre wohl am

besten durch Hypnose zu erreichen; doch dabei fehlt dem Be- zwungenen das Bewusstsein seiner Erniedrigung. Also muss der scharf denkende Masochist auf andere Mittel sinnen.“ (Die krausen Pfade dieser ganzen Philosophie sind hier mit Ab- sicht reproduziert - worden, da sie zum psychologischen Tat- bestand des Falles gehören.)

„Ich habe nie von jemandem gehört oder gelesen, der die Masturbation so stark betrieben hätte wie ich. Noch heute ist der Durchschnitt für mich dreimal täglich. Ich glaube, daher stammt meine Magerkeit; auch mein Gedächtnis und meine Energie scheinen gelitten zu haben. Doch hat mir niemand je Nervosität oder Aehnliches angemerkt. Ich be- obachte mich selber scharf, verstelle mich und zeige immer nur das, was ich gesehen wissen will. Bis jetzt habe ich noch jeden in sexueller Beziehung über mich hinters Licht führen können. Natürlich habe ich die Onanie mit Anspannung aller

93

Kräfte zu bekämpfen gesucht; anfangs durch Beten zu Gott um Beistand; dann durch Versprechungen, die meine Ange- hörigen (einmal sogar auf Ehrenwort!) von mir verlangten. Schliesslich durch Vernunftgründe, die mir meine naturwissen- schaftlichen und philosophischen Studien an die Hand gaben. Ich habe mir das körperliche und geistige Elend, das früher oder später einmal über mich hereinbrechen würde, klar vor Augen gestellt; ich habe mir all die Freuden und das Glück, die ein massvolles Geniessen krönen würde, aufs lebhafteste ausgemalt; ich habe mich zur Ehre dressiert und bin Korpsstudent geworden: es hat alles nicht das geringste genützt. Nirgends kam mir die Seelenruhe, und ich bin immer wieder zu meinen Träumen zurückgekehrt.“ „Zum ersten Mal koitierte ich mit 17 Jahren. Es war eine arge Enttäuschung; schon wegen der Schmerzen, da ich eine Phimose hatte. Ich habe dann in halbjährigen Zwischen- räumen etwa den Koitus fortgesetzt, wie es sich zufällig machte, nur aus Eitelkeit dem Mädchen und der Welt gegen- über, nicht weil mich die Sache reizte, und meist mit Ko- kotten. Meiner starken Sinnlichkeit verdanke ich es wohl, dass mir der Akt meistens gelang; doch musste das betr. Weib stets selbst etwas aktiv dabei vorgehn. Ich simulierte meistens den Genuss; einiges Vergnügen hatte ich nur, wenn ich sah, dass das Weib aufgeregt wurde. Erst nach längerer Hebung gelang es mir, während des Aktes zur Ejakulation zu kommen. Gleich bei einem der ersten Male holte ich mir übrigens eine Lues, die zwar bisher bei sorgfältiger und wiederholter Behandlung keine erschreckenden Symptome zeigte, deren Dasein für mich aber doch äusserst nieder- drückend und entmutigend ist. Ich kann es in meinem Zu- stand nicht wagen, mich dem Ideal meiner Träume, falls ich es finden sollte, zu nähern. Dieser Umstand macht mich mehr als alles andre lebensüberdrüssig. Freilich habe ich die Hoffnung auf das Ideal auch wegen der Schwierigkeit, es zu finden, fast aufgegeben. Seit 1)4 Jahren habe ich kein Weib mehr berührt, eine Tatsache, die meine Bekannten als die grösste Lüge des Jahrhunderts bezeichnen würden. Trotzdem ^ hatte ich früher immer einiges Glück bei Frauen, weniger auf

94 -

den ersten J31ick hin, als durch freundliches und doch wunsch- loses Verhalten ihnen gegenüber. Da ich aber in der Liebe körperlich wie geistig stets der weiblich passive Teil sein möclite, um ihnen dann allerdings alles hinzu- geben, alles für sie zu erdulden, so habe ich die Frauen nie lange mit meiner Schauspielerei bei Zufriedenheit erhalten können."

..Leber Homosexualität erhielt ich zuerst Aufschluss durch das Buch; Die Enterbten des Liebesglücks. Hier fesselten mich manche Stellen ausserordentlich, mehr noch, als in maso- chistischen Werken, deren ich gleichfalls eine ganze Reihe ge- lesen habe. Da ich auf mein Weibideal aus obigen Gründen Verzicht leisten musste, kam ich in Gedanken dazu, mir als das Kompliment meiner Sehnsucht einen Mann zu wünschen. Denn auch die stärkste Frau wird in der Liebe dem Manne stets unterlegen sein wollen. Ich brauche aber einen Partner, der mich gewissermassen erobert und vergewaltigt. So sagte ich mir, diese Rolle könne nur einem M a n n e zu- fallen. Vieles, was ich von der Homose.xualität in den Büchern las. bestärkte mich in diesen Vorstellungen.“

Eine mehrjährige Beobachtung des Herrn M. hat ergeben, dass die Schwen- kung zur Homosexualität nur eine schein- bare war, ein zufälligesAccidenz zu der gleichbleibenden Grundfärbung seiner Libido. Irgend eine homosexuelle Betätigung hat niemals stattgefunden. Herr M. hat den Teil seines Gefühlslebens, in dem die Erscheinung eines von ihm geliebten Mannes psy- chi.sch eindrang, in Form einer novellistischen Skizze festge- haltcn. die wir nachstehend auszugsweise reproduzieren. Es geschieht dies aus folgenden gewichtigen Gründen;

Die Skizze stellt einen richtigen Tag träum dar. wie er in dieser Abgerundetheit (auch in den Arbeiten der Freud’schen Schule) verhältnismässig selten veröffentlicht worden ist. Dieser Tagtraum ist zwar im allgemeinen erotisch gehalten; hoch- erotisch ist er aber (für die Psyche des Träumers) gerade an den Stellen, die für die Mehrzahl der Menschen garnichts Ero-

(

95

tisches bedeuten, nämlich, wo vom Kostümieren, Schminken, von der Beschämung durch Zwangsmassregeln die Rede ist. Die Anomalie des Traumes entspricht also genau der Anomalie des Träumers.

Wie sehr der Versuch, sich homosexuelle Vorstellungen der ursprünglichen Reaktionsfähigkeit gefügig zu machen, miss- lingt, ersieht man daraus, dass sich ganz unwillkürlich in den Lauf der Begebenheiten ein Weib einschmuggelt, dessen Gegenwart dem Träumer überhaupt erst das weitere ermöglicht. Dennoch ist das Ganze in gewisser Hinsicht auch ein Beweis dafür, dass die Starrheit der Triebanlagen Flexi- bilität genug besitzt, um fremden Elementen sich wenigstens temporär zu assimilieren.

Endlich sieht man aufs Vortrefflichste den Zusammenhang der Erotik mit dem belletristischen (und weiterhin künst- lerischen) Fabulieren. Viele Werke der Literatur, die ganz asexuell erscheinen, entstehen trotzdem auf ähnlichem Unter- gründe.

Es folgt nun einiges aus der Skizze selber;

„Reinhold war ein fröhlicher Student. Er hatte viel Kameraden, und lebte mit ihnen sorglos in den Tag hinein. Nur in einem konnte er sie nie so recht verstehen und ihre Gefühle teilen. Das war in der Sucht nach Frauen und dem geschlechtlichen Verkehr. Auch ihn reizten die Weiber zwar, und besonders wenn sie chick und elegant waren, aber seltsame Gedanken stiegen ihm meist bei ihrem Anblick auf, „Ach, könntest du nur ein einziges Mal auch so eine chicke Toilette anziehen und so reizend aussehen, und so ver- ehrt werden.“ Schnell aber verbannte er dies weibische Begehren in den Tiefen seines Herzens und tat, als sei er wie die andern. Vor Männern hatte er eine eigenartige Scheu, die er nie recht begründen konnte, und ebenso vor der Berührung mit ihnen.

Eines Tages, als er allein durch den Tiergarten wandelte, bemerkte er, dass ein vornehmer, älterer Herr ihm folgte. Von einem seltsamen Gefühl ge- trieben, ging er langsamer. Der Herr holte ihn ein und sprach ihn an. Er sah ihn mit seinen schönen, lebensemsten Augen so seltsam an, dass Rein- hold den Blick senken musste. Er hatte Furcht vor ihnen. Sie kamen io’s Gespräch und verabredeten sich bei der Trennung auf ein ander Mal. So trafen sie sich öfter, und wurden näher bekannt. Reinhold fasste ein unbe- grenztes Vertrauen zu dem freundlichen Herrn, er vermeinte ihn mit ganz anderen Augen anzusehen, als andere Männer. Jener sagte ihm Schmeichleien

96

über seine Schönheit, was ihn jedesmal verwirrt machte, und dennoch hörte er sie sehr gern. Seinen Kameraden sagte er von setner neuen Bekanntschaft nichts. Sein Freund, der sich Edmund nannte, besuchte ihn auch einmal. Sie sassen auf dem Sofa und plauderten, und im Laufe des Gesprächs legte jener den Arm um seinen Hals. Ein Schauer durchrann seinen ganzen Körper. 0'. wenn Edmund jetzt seine bärtigen Lippen er trug einen schön gepflegten Spitzbart auf die seinigen drücken würde; er fühlte ein seltsam süsses Lähmungsgefühl. Aber nein! Entsetzlich, bärtige Lippen aufeinander! und überhaupt zwei Männer! Pfui! und erschrocken entwand er sich dem Arm des Freundes, und sprang auf. Jener schien nichts bemerkt zu haben.

Eines Tages, als sie von Vergnügungen sprachen, meinte Edmund;

„Weiset du was! Am Mittwoch findet hier grosser Maskenball statt. Dort müssten wir eigentlich einmal hingehen!

Ja! aber in welchem Kostüm? meinte Reinhold.

Ich habe eine famose Idee! Du gehst als elegante Kokotte verkleidet, und ich als dein Kavalier! Du musst entzückend aussehen in Frauenkleidem. Ja, bitte tu mir den Gefallen! mit flehendem Blick sah er ihn an, seine Hände fassend.

Reinhold konnte nicht widerstehen. Sein Inneres jauchzte; sein Herzens- wunsch sollte in Erfüllung gehen.

Ja, aber wie wollen wir denn das machen, wandte er schüchtern ein.

Das lass nur meine Sorge sein' Komm du nur Mittwoch Nachmittag zu mir. Das andere wir sich finden!

Also gut, ich bin einverstanden, erklärte Reinhold lächelnd.

Pass auf! es wird entzückend werden. Du wirst dich so gut als Mädel machen, dass man dich nicht erkennt.

Edmund nahm nun einige Masse, und sie trennten sich.

Reinhold befand sich die nächsten Tage in fieberhafter Aufregung. Er dachte nur an seinen Freund und Mittwoch. Edmund würde ihn als Weib an- ziehen. Man würde ihn als seine Geliebte ansehn, und Edmund würde ihn als seine Geliebte behandeln. Er würde sich wie ein Weib ihm gegenüber be- nehmen müssen, und würde er nicht vielleicht auf Augenblicke seine Männ- lichkeit ganz vergessen? Himmlischer süsser Gedanke! Er wagte nicht, ihn auszudenken. Er sah sich bereits als Weib in den Armen des Ge- liebten! Denn er liebte ihn; das wusste er jetzt; und nicht nur den Freund, sondern auch den schönen, starken, geistvollen Mann.

Punkt vier stand Reinhold vor Edmunds Wohnung in einem eleganten Haus einer Berliner Vorstadt. Schüchtern klingelte er. Der Freund öffnete, und führte ihn sogleich durch einen geschmackvoll eingerichteten Salon in ein wundervolles Schlafzimmer.

Die Zimmer kannst du dir alle später ansehen, komm nur erst hier hinein.

Das Zimmer war ganz in weiss und rosa gehalten, aber Reinhold stutzte, es schien für ein Ehepaar eingerichtet zu sein. Ein grosses, zwei- schläfriges Himmelbett, eine doppelte Waschtoilette, ein Toilettentisch wie für eine Dame.

97

Lächelnd bemerkte Edmund das Erstaunen des Freundes.

Ja, ich war einmal verheiratet, bin aber von meiner Frau geschieden. Es war nicht meine Schuld, aber ich bin froh, um ihret- und meinetwillen, fügte er seufzend hinzu.

Dann schellte er. Eine ältere Dame im Hauskleide erschien. Dies ist mein kleiner Freund, aus dem du mir heute eine kleine Freundin machen sollst, Brigitte. Und dies ist meine Hausdame Brigitte, die mich schon als Kind treulich gewartet hat, stellte Edmund vor.

Wird es denn auch gehen? meinte er dann, zu ihr gewandt. Brigitte sah den Jüngling prüfend an.

Aber, ausgezeichnet! er wird eine reizende Kokotte abgeben; die Männer werden verrückt nach ihm sein.

Reinhold errötete über und über. Er scliämte sich vor der Frau furcht- bar der Rolle, zu deren Annahme ihn Edmund überredet hatte, und doch entzückte ihn ihre Prophezeiung.

Aber dann wollen wir beginnen, meinte Edmund, immer mit demselben seltsamen Lächeln auf den Lippen.

Reinhold sah ihn flehentlich an.

Nicht hierbleiben, du, bitte!

Nun, du schamhaftes Fräulein, wenn du keine Männer bei deiner Toilette duldest, muss ich mich wohl oder übel zurückziehen; aber, wart’, ich räche mich nachher!

Nun begann eine fieberhafte Tätigkeit. Reinhold musste sich ent- kleiden. Brigitte rasierte seinen kleinen, blonden Schnurrbart fort, und von den starken Augenbraunen Hess sie nur einen schmalen, schöngeschwungenen Strich stehen. Aber, wenn man mich morgen so sieht? wagte er einzu wenden.

Das wmchst ja bald wieder, meinte eie unbeirrt. Dann nahm sie eine Nadel, und ehe er ihre Absicht ahnte, hatte eie ihm das eine Ohrläppchen durchstochen.

Oh weh! rief er aus, nein, das geht nicht'

Es muss aber sein, erklärte sie, es wächst ja alles wieder zu. Damit hing sie ihm zwei grosse, unechte Brillanten ins Ohr.

Das wusste er, in den nächsten Tagen durfte er sich vor niemanden sehen lassen.

Dann zog sie ihm eine wundervolle, goldblonde Strassenperücke über den Kopf. Sie war entsetzlich schwer, und wurde seiner Ansicht nach ganz über- flüssigerweise auch noch mit Klebstoff befestigt.

Die Haare an Armen und Beinen wurden gleichfalls entfernt.

Aber wmzu machen Sie denn das?

WeU eine junge Dame, wie Sie. überall schön aussehen muss.

Den Körper rieb sie ihm mit einer duftenden Flüssigkeit ein.

Das reizt die Männer riesig, meinte sie.

Aber das hat doch für mich keinen Zweck! tief er erschrocken aus; doch Hess er sich ruhig einreiben, und freudig erregt erhob sich seine Brust, H Irschfeld, Die Transvestiten. 7

98

Nun folgte das Ankleiden, Schminken und Frisieren, dessen detaillierte Beschreibung M. förmlich begeistert, hier aber zu weit führen würde. Man stelle sich das Bild einer eleganten Demimondaine in Gesellschaftstoilette vor, beladen mit unechten Brillanten, einen riesigen weisseii Straussfederhut, Boa, über und über parfümiert usw. i

Reinhold betrachtete sich mit halbgeschlossenen Augen, den Kopf hinüber, im Spiegel. Seide und Spitzen umrauschten seine Knie, das enge Korsett zwang ihn in eine weibisch-grade Haltung, der zarte Flaum der Boa im Nacken, das schwere, lästige Haar, die langen, engen Handschuhe, das alles peitschte seine Sinne zu nie gekannter Lust.

Im Nu hatte er sich die Bewegungen des Weibes angeeignet. Es war, als sei es eine zweite Natur. Alles andere war für ihn vergessen, er brannte darauf, von dem Geliebten bewundert zu werden.

Brigitte war entzückt.

0 wie wird sich Edmund freuen! Aber nun will ich das gnädige Fräu- lein gleich ihrem Kavalier zuführen. Damit öffnete sie die Flügeltür und führte die verschämt Zögernde in den Salon.

Reinhold errötete unter der Schminke. Da stand lächelnd der Geliebte elegant wie immer, im Frack, schön wie ein Gott. Er wäre ihm am liebsten an den Hals geflogen, hätte ihn nicht Brigittes Gegenwart zurückgehalten.

Galant küsste Edmund der Schönen die Hand.

Mein Kompliment! Nun, bist du mit deiner Verwandlung unzufrieden, mein Kleinchen?

Nein, kam es schüchtern von Reinholds Lippen.

Nicht wahr, ich hatte Recht! Aber wie soll er denn nun heissen? meinte Brigitte scherzend.

Wir wollen ihn „Lilli“ nennen, unsere süsse Lilli! Der Name gefällt Ihnen doch, meine Gnädigste? fragte Edmund scherzend.

Reinhold antwortete nicht. Jede Fiber in ihm zitterte vor Aufregung.

Aber, da steh’ ich und gaffe, rief Brigitte plötzlich aüs, und draussen geht’s drunter und drüber. Damit war sie hinaus und im Nu fühlte LiUi sich von den Armen des Geliebten umschlungen.

In mädchenhafter Scham wollte sie sich ihm entwinden. Vergebens! das Rauschen der Röcke, das schwere Haar, der berauschende Duft, das alles Hess sie vergessen, wer sie eigentlich war. Sie war jetzt nur das verlangende Weib, das sich nach den Küssen des geliebten Mannes so lange gesehnt hatte.

Willenlos liess er sich auf den Divan legen.

„Du süsser, geliebter Mann! Dank, tausend Dank, dir will ich gehören für immer Töte mich aber lass mich dein Weib sein, stammelte er, und wild graben sich seine Zähne in die Lippen des Geliebten.

Plötzlich sprang er auf, und sah seine in ihrer Verwirrung reizende Frauengestalt im Spiegel.

Unseliger, was hast du getan! kam es bestürzt von seinen Lippen, und voll Scham und Reue eilte er, so schnell es seine Kleidung erlaubte, ins Nebenzimmer.

99

Himmel, was war geschehen? Er wollte fort von hier; er suchte seine Sachen, üeberaü vergebens, sie waren verschwunden. Er war ein Ge- fangener, und so würde er seinem Schicksal nicht entgehen; das fühlte er genau. In seinem Innern kämpften die wildesten Gewalten miteinander, und bitterlich weinend warf er sich aufs Bett.

Mit zynischem Lächeln war Edmund ihm gefolgt. Er erschien ihm in seiner mädchenhaften Verwirrung entzückend. Leise trat er nun zu ihm und beugte sich über die schluchzende Schöne. Ein sanfter, inniger Kuss auf den Hals machte die ganze Gestalt durchschauern.

Sanft hob er sein Opfer auf und führte den Willenlosen in kluger Be- rechnung grade vor den Spiegel.

Was ist dir denn? meine süsse, kleine Lilli! tröstete er liebkosend.

Ich möchte fort, gib mir meine Sachen wieder, bitte, bitte! kam es nur noch schüchtern von den Lippen Reinholds.

Deine Sachen? Aber Liebling, sieh doch mal! Zu diesen schwellenden Kirschenlippen, zu diesen süssen, lüsternen Mädchenaugen, gehört da nicht eine so süsse, duftige Toilette, wie du sie anhast. Merkst du es denn nicht? du bist ja gar kein Mann, du bist ja ein furchtsames Mädchen und gehörst darum in den Unterrock, mein dummes, kleines Frauchen!

Ja, du hast recht, Geliebter, und ich will es immer bleiben! hauchte ßeinhold iustdurchschauert.

Aber nun, Schatz, wollen wir auch ans Essen denken, meinte EdmunJ fröhlich. Ich will Brigitte rufen, dass sie dich wieder ein bischen in Ord- nung bringt.

Nein, nein! rief Reinhold nach; aber gleich darauf erschien Brigitte mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen, das ihn ärgerte. Er schämte sieb furchtbar vor ihr.

Dann führte Edmund seine Dame ins Esszimmer, wo der Tisch bereits reich gedeckt war und der Teekessel dampfte. Man ass zu dritt.

Brigitte unterwies Reinhold oder vielmehr Lilli wie eine Tochter. Sie musste den Tee servieren, die Butterbrödehen streichen, helfen usw. Lilli wagte kaum die Augen aufzuschlagen; nur hie und da traf ein verstohlener Blick den Geliebten.

Wollen udr denn nun noch auf den Ball gehn? fragte Edmund einmal.

Es wird ja zu spät, Kinder! meinte Brigitte, und Lilli schwieg.

Nach Tisch plauderte man ein wenig; zu rauchen bekam Lilli mir eine ganz kleine Damenzigarette, zu ihrem grossen Bedauern.

Es ärgerte sie überhaupt, dass Brigitte eie so ohne weiteres ganz und gar als Mädchen behandelte. Aber konnte sie es denn anders verlangen? Auf einmal meinte sie sogar, es sei Zeit für Lilli, ins Bett zu gehn.

Aber ich muss doch nach Hause! erklärte diese.

Heute nicht! bat Edmund, heute hist du Lilli und hast gar kein anderes Zuhause als liier.

Wie eine Träumende Hess sie sich von der Hausdame ins Schlafzimmer führen. Lilli wollte die Perücke abnehmen.

7*

100

Das wird nicht gehen, erklärte Brigitte, die habe ich Ihnen zu fest mit Ihrem eigenen Haar verklebt, Fräuleinchen. Behalten sie sie nur auf. Sie sehen ja auch so niedlich damit aus.“

Bis hierher mag es an der Probe aus dem Manuskript des Herrn M. sein Bewenden haben. Die oben erwähnten Fol- gerungsmomente sind unschwer zu erkennen.

Fall Xni.

Im Jahre J905 erhielt die Herausgeberin der Zeitschrift „Mutterschutz“ von einem gewissen John 0. aus S. Francisco mit der Bitte um Veröffentlichung ein sehr merkwürdiges Schreiben. Als der von ihm erwartete Abdruck während längerer Zeit nicht erfolgte, wandte sich 0. an mich; „Er sei sehr enttäuscht, dass man ihn nicht hätte zu Worte kommen lassen.“ Der seltsame mir in Abschrift beigefügte Brief, von dem ich sehr wohl verstehe, dass ihn die Redakteurin, ihrem Leserkreise nicht zumuten wollte, da sein Inhalt ihnen wohl kaum verständlich gewesen wäre, hatte in der Hauptsache folgenden Wortlaut;

„Ihre Zeitschrift Mutterschutz interessiert mich so sehr, dass ich sie halten muss; ich bin körperlich männlich, geistig weiblich, deshalb habe ich für alles was weiblich ist, sehr viel Sympathie. Da Sie für sexuelle Freiheit kämpfen, möchte ich ein Wort sprechen über die Verfolgung der Effeminierten. Denn manche Mutter versteht ihren Sohn nicht, weil er mäd- chenhaft ist. Ich bin der lieber zeugung, dass wenn ein Knabe einmal 8 oder 10 Jahre ist und er zeigt Vorliebe für Mädchenkleider, Mädchenarbeit und Mädchenspiele, dass dann die Mutter zum Wohle des Kindes besser tut, ihn in seinem Wunsche freie Wahl zu lassen. Der Knabe ist dann, nämlich nur geschlechtlich männlich, aber geistig Mädchen und wenn solche Kinder nach ihrem Gefühl erzogen werden, dann sind sie viel glücklicher als wenn man ihnen durch Strafen, Spott oder gar Misshandlungen das Knabenhafte beibringeii will. Wird er aber dann als Mädchen erzoeen, so verliert er allen Zweifel und wird im weiblichen fester, so dass er dann nie-

101

mals mehr den Wunsch hat ein Mann zu sein; wird er ge- zwungen sich als Knabe zu bewegen, so fühlt er sich nieder- geschlagen und sehnt sich nach der Zeit "wo er als Dienst- mädchen oder ähnliches sein Leben machen kann. Ich bin nicht mit Dr. Moll in seiner konträren Sexualempfindung S. 448 einverstanden, wo er sagt; man solle durch Strafen die Effemination zu beseitigen suchen. Er sagt ja auf S. 157 selbst, „es ist in der Tat auffallend, wie mächtig sich bei manchen Homosexuellen das weibische Benehmen zeigt. Wenn man berücksichtigt, dass die Erziehung derartiger Knaben meistens der der anderen gleich ist, so ist es wunderbar, mit welcher Stärke trotzdem die weibliche Natur schliesslich bei ihnen durchbricht.“ Ich will zugeben, dass bis zum 5. Jahre vielleicht noch manches Kind durch Erziehung zu seinem Ge- schlecht erzogen werden kann, aber meistens auch dann nicht und zeigen sich die mädchenartigen Eigenschaften viel stärker als die knabenartigen, so ist es für das Kind viel besser, es nach seinem geistigen Geschlecht zu erziehen. Deshalb, liebe Mütter, erzieht doch solche Söhne als Mädchen, denn gute Ehemäner werden sie selten, sie haben sogar eine Abneigung vor dem Verkehr, ausser wenn sie später vielleicht einmal eine Frau finden, die männlich ist. Auch wäre ich dafür, dass die Polizei solche weiblichen Männer in Ruhe lässt und dass sie den Frauen gleich behandelt werden. Ich selbst habe als Kind jede Gelegenheit benutzt die Kleider meiner Schwester anzuziehen, wurde oft dafür geschlagen, verspottet und ge- neckt, spielte mit Mädchen und sehnte mich nach der Zeit wo ich aus der Schule war, um als Kindermädel arbeiten zu können. Schliesslich stahl ich von einem Mädchen die Kleider und einen Heimatschein und floh in Mädchentracht in die Schweiz, so dass niemand für Jahre wusste, wo ich war. Das erste Vierteljahr wünschte ich manchmal noch lieber als Junge zu arbeiten, denn die Arbeit war hart und die Frau bös, aber die zweite Frau Meisterin war besser, zu mir, und so vergass ich bald meine Heimat und mein Geschlecht. Mit 19 Jahren hatte ich den ersten Liebesakt durch Angriff eines Mädchens gehabt, und während des Aktes wünschte ich auch Mädchen

102

zu sein. Ich weinte manchmal, dass ich kein Weib war und nicht Mutter werden konnte. Als ich in die 20 kam, liefen mir die jungen Leute nach, zumal ihre Mütter mich ihnen lobten, ich würde eine gute Hausfrau werden. Aber was für Leiden hatte ich, dass ich das andere Geschlecht hatte, o wie schmerzlich war es mir. wenn ich ein Liebespaar mit einander tändeln sah, wie neidisch war ich auf jene Mädchen und bin es heute noch. Mein Liebesideal waren stets starke männ- liche Frauen, solchen gegenüber will ich mich als Weib fühlen. Nur der Polizeiwillkür halber trage ich ausser Hause die männliche Tracht. D i e Unterröcke sind mir ein Heiligtum und würde am liebsten ganz und gar die Frauentracht behalten, wenn es auf der Strasse erlaubt wäre. Seit längerer Zeit habe ich den Vorsatz, sobald ich eine sichere Stellung als Kinder- frau oder ähnliches finde, sie anzunehmen, damit ich bestän- dig und frei in weiblicher Toilette gehen kann. Ich bin jetzt 43 .Jahre alt und ledig, seit 6 Jahren aller Liebesumarmung frei, öfters habe ich Träume als Weib, von Kindbett und Kinderstillen, und freue mich noch beim Erwachen, bis ich mich dann überzeuge, ob es wirklich wahr ist und ich dann zu meinem Bedauern das Gegenteil ausfinde. So, liebe Frauen, könnt Ihr Euch ein Bild machen, wie unglücklich Euer Kind sich fühlt, wenn ihr versucht seine Angeborenheit zu unterdrücken. Ein solcher Knabe schämt sich nicht als Mädchen aufzutreten, im Gegen- teil. er ist ja geistig ein Mädchen und will es auch sein. Ich habe \üele Weibmänner gesprochen, die meisten hatten w'enig Geschlechtstrieb und von Männerfreund- schaften hatten sie keine Ahnung, solange sie sich in Gesell- schaft von Frauen und Kindern bewegen konnten. Wenn sie auch nicht in Frauenkleidung waren, so hatten sie doch die Vorliebe für die w'eiblichen Sachen und wohnten lieber bei einer Familie, wo Kinder waren. Wenn einmal volle Kleider- freiheit aufkommen wird, so werden sich die Effeminierten der weiblichen Gesellschaft anschliessen, grade so wie die Mann- weiber sich dem sogenannten stärkeren Geschlecht zugesellen

103

werden; wenn der Modezwang nicht mehr besteht, so wächst der AVeibmann ins weibliche hinein und wird von einem Mann- weib angezogen, denn beide fühlen sich von Natur für einander bestimmt, e r a 1 s AA^ e i b und sie als Mann und sie werden so glücklich leben als die normalen Ehegatten von heute Das gewöhnliche Weib reizt den Weib- mann nicht und der männliche Mann zieht das männische Weib nicht an. Viele Erauen haben sich über mich gewundert, wenn sie durch Zufall mein Geschlecht erfuhren, dass sie keine männlichen Eigenschaften bei mir hatten sehen können; wie oft sagten sie dann; „Jo- hanna, du hättest besser ein Mädchen abgegeben“. Alles, was ich hier sage, gilt umgekehrt für Mädchen mit knabenartigen Anlagen. Wie manche würde als Techniker, Erfinder oder ähnliches grosses leisten wenn sie frei als Mann geduldet würde, so wie sie es sein will. Beide würden ihr Geschlecht vergessen und wären glücklich. Die Menschheit würde des- wegen nicht aussterben, dafür sorgt schon die Natur genügend, und zudem würde es vor mancher unglücklichen Ehe schützen, denn ein AVeibmann ist ein schlechter Bettgemahl für eine normale Frau und umgekehrt. Aber heiraten sich zwei, von denen eins ein AA^eibmann und eins ein Mannweib ist, so ist er der weibliche und sie der männliche Teil, und sie werden glücklich sein; denn wenn auch das Geschlecht anders ist, i n geistiger Beziehung sind sie ja doch vom entgegengesetzten Geschlecht, so wie sie die Natur begabt hat. Deshalb, liebe Mütter, warum nicht dieses Thema in die öffentliche Diskussion bringen, handelt es sich doch um das AA'ohl Eurer Kinder? Wenn einmal die Menschen duldsamer und vernünftiger werden, wird mancher Effeminierter und manche Alasculierte sich zu dem bekennen, wozu sie geschaffen ist. Blickt nur einmal hinein in das menschliche Leben, ihr werdet ausfinden, dass sich etwas so Hineingeborenes nicht verdrängen lässt. Ist es doch auch ge- schichtlich erwiesen, dass manche Weibmänner grosse Kinder- erzieher waren und in vielen weiblichen Fächern gutes ge- leistet haben. Bei so manchem ist sein wahres Geschlecht nur durch Zufall oder Unglück entdeckt worden zum Erstaunen

104

der Umgebung, welche so etwas nicht ahnte. Ich selbst bin vom 14. bis 2 0. .Jahr beständig als Mädchen aufgetreten und später auch noch sehr oft 6 Monate und länger und wenn ich als Mann arbeitete, so war nach Feierabend der Mann gleich wieder in ein Weib gekleidet und hatte keine Ruhe ausser in den Unterrocken. Aber weil man sich schämt vor Entdeckung und vor Polizei, so fügt man sich unter Qualen diesen Gewaltmassregeln. Ich habe schon viel ge- grübelt über männliche Vorteile und weibliche Nachteile, aber am Ende wünschte ich stets ein Weib zu sein, selbst Mutter wäre ich gern gewesen, und alle meine Träume sind als Weib und Mutter. Deshalb, liebe Mütter, lasst euren Kindern doch die Freiheit und stillt ihr Verlangen, sie werden es euch danken; wenn sich beide nach ihrer Na- tur bewegen können, so finden sie sich als Paare zusammen und die gleichge- schlechtliche Liebe verschwindet von selbst mehr und mehr. Durch die heutige Unduld- samkeit werden in Wirklichkeit sittliche Menschen in unmo- ralische Handlungen hineingezogen, deshalb sollten alle mensch- lichen Fragen und auch diese offen besprochen werden, damit jeder über seine Natur aufgeklärt wird. Ueber die Homo- sexuellen ist doch so viel geschrieben, über uns Effeminierte aber fast garnichts. Schenkt doch diesem Thema, werte Frauen, etwas Aufmerksamkeit, damit die nächste Generation glücklicher werde als wir es sind.

Mit Gruss John 0.“

Nachdem ich diesen Brief gelesen hatte, trat ich mit 0. in schriftlichen Verkehr und fand meine Vermutung, dass es sich um einen typischen Vertreter der hier behandelten Gruppe handelt, vollauf bestätigt. Aus seinen recht ausführ- lichen Mitteilungen, die vielfach dasselbe in immer neuen Wen- dungen und Beleuchtungen wiederholen, extrahiere ich das Be- merkenswerteste.

„Ich bin so schreibt 0. 1862 geboren. Mein Vater war 10 oder mehr Jahre Tyroler Kaiserjäger, Hornist und

105

machte 59 und 66 mit. Drei Brüder sind kinderlos, meine einzige Schwester hat zwei. Ein Bruder ist verheiratet mit einer Norwegerin in Amerika, der andere lebt mit einer Witwe. Von Mutterseite haben wir eine sehr grosse Verwandtschaft, Grossvater zeugte 13 Kinder mit zwei Frauen, mit der ersten 3 und 10 mit der zweiten, die hochbejahrt 1886 starb. Gross- vater starb 1873 an Lungenentzündung mit 63 Jahren. Alle Tanten und Onkel von Mutterseite haben viele Kinder. Mein Vater und meine Mutter waren beide in H., Vorarlberg, ge- boren, BO auch wir. Vater starb 67 an der Auszehrung, er soll viel getrunken haben. Mutter starb 1% Jahre später, sie soll sich am kranken Vater angesteckt haben. Ich soll das Ebenbild der Mutter sein. Wie ich später erfuhr habe ich noch Mädchenkleider getragen, als mein 2 Jahre jüngerer Bruder schon Hosen hatte. Mutter erzählte, ich hätte keine Hosen haben wollen und mich so sehr dagegen gewehrt, deshalb behielt ich die Röcke; und da meine Schwester ein Jahr älter war, konnte ich ihre Kleider auf tragen, bis Mutter 1868 starb. Die Tanten zwangen mich dann zu Knabenkleidern, meine Schwester kam zu einer Tante, welche mehrere Kilometer von uns entfernt wohnte. Mutter soll sich vor meiner Geburt ein Mädchen ge- wünscht haben. Grossvater hätte mir die Mädchenkleider ge- lassen, wenn die Tanten nicht so sehr dagegen gewesen wären. Der Arzt soll gesagt haben, ich werde ein fester Junge werden. Ich erinnere mich aber ganz deut- lich, ich wollte immer nur Mädchen sein, und von Verwandten und Bekannten wurde ich mit Worten wie „Madli“, „Mädchengesicht“ oder „Johanna“ geneckt. Auch sollen manche gefragt haben, warum denn das Mädchen Kna- benkleider trägt. Lange vorher freute ich mich schon auf Fastnacht, indem es den Tag erlaubt war, als Mädchen her- umzubummeln. Stets war ich, wenn ich meine Tante sich an- kleiden sah, neidisch, dass ich nicht mich auch als Mädchen kleiden konnte. Da Tante und Onkel viel frommer waren als mein Grossvater und Vater, so brachten sie mich bald in ein katholisches Waisenhaus zu den Barmherzigen Schwestern. Nach einiger Zeit wurde ich dort der Liebling der Schwester

106

Oberin Joachima, sass oft auf ihrem Schoss. Sie küsste mich viel und mir wurde vieles erlaubt, was andere Kinder nicht durften. Auch war ich ausersehen alle Gänge zum Herrn Pfarrer in den Ort zu machen, selbst in der- Nacht wurde ich geweckt, um den Priester zu einem Sterbenden zu holen. Die Oberin sagte, der Hansel führt alles am besten aus, ohne zu fragen, behält auch alles für sich oder vergisst es nachher. Meine Schwester hat mir später, als ich schon in Amerika war, oft Grüsse von der Schwester Oberin geschrieben; sie erinnere sich heute noch, dass ich ein so verständliches Kind gewesen wäre und zu allem zu gebrauchen. Auch ich habe mich im späteren Leben oft an die Oberin erinnert, mehr wie an irgend jemand anders, und oft gedacht, dass jene Oberin eine gute Mutter geworden wäre. Mädchenkleider wollte sie mir aber nicht erlauben, im Gegenteil sie redete mir diesen Gedanken stets aus und ar- beitete darauf hin, dass ich nach Brixen in Tyrol ins bischöf- liche Knabenseminar gehen sollte, aber ich wollte ins Lehrer- seminar nach Bregenz, weil ich dachte später, wenn ich das Lehrerseminar absolviert habe, würde ich als Gouver- nante oder Kindererzieherin gehen. Ich hatte schon damals fest vor, wenn ich einmal selbständig werde, als Frau auf- zutreten. Aber da ich einsah, dass mein Vormund das väterliche Vermögen nicht anders hergeben würde, als wenn ich nach Brixen ging, so sann ich auf Mittel, dies zu ver- eiteln. Die Oberin erzählte mir immer, wie schön ich es als Priester haben würde, wenn die Eltern aus dem Feg- feuer erlöst werden, sobald ich einmal die erste heilige Messe gelesen hätte und vieles mehr. Aber ich betete schon damals nur deshalb, weil es die Oberin wünschte. Auch nahm mich die Oberin oft mit, wenn sie in die anderen Orte ging, um die dortigen Schwestern zu besuchen, ich war dort mit ihr immer unter den barmherzigen Schwestern, die mich gut behandelten und als Beispiel den Kindern vorstellten. Sonst war es Sitte, dass das beste Mädchen als Be- gl.eiterin mitkam. aber die Oberin zog mich vor. Einmal nahm sie mich sogar mit ins Mutter-

107

haus bei Feldkirch, und ich hörte, als die dortige Oberin, welche ihre Vorgesetzte war. sie fragte, warum sie denn einen Knaben als Begleiter habe, sagte sie; ., Hochwürdige Schwester Oberin, der Hansel ist das artigste, aufrichtigste und schweig- samste Kind in meiner Obhut und ersetzt in vieler Beziehung manches Mädchen." Da ich nun sah. dass man mir das Lehrerstudium nicht gestattete, so ging mir trotz der frommen Erziehung immer wieder der Gedanke durch den Kopf, wie ich heimlich einen Mädchenanzug bei- seite schaffen konnte, um in ihm fortzulaufen. Und als ich nun bei einem reichen Gutsbesitzer, der viel Land, Kühe und Alphütten besass, als allgemeiner Bursche eingetreten war, stahl ich bei Gelegenheit einem Mädchen, deren Beschreibung auf mich passte, den Heimatschein, zog ihre Sachen an und verbrannte in der Nacht meine Knabenkleider. Alles Knaben- artige liess ich in Voralberg und ging nach der Schweiz, so dass die Verwandten von mir nichts wussten. Ich hatte Angst zu schreiben und fürchtete auch, man könnte mich wieder zwingen, als Knabe zu gehen. Ich arbeitete nun zuerst als Kindermädchen und in der allgemeinen Hausarbeit, nebenbei lernte ich in einer Stickerei. Die erste Meisterin gefiel mir nicht, aber später bekam ich eine bessere und auch mehr Lohn. Sie fand aber leider heraus, dass ich kein richtiges Mädchen war, doch machte sie nicht viel davon, weil sie meinte, sie hätte noch nie eine so gute Arbeiterin gehabt. Inzwischen wurde ich stark und nicht übel, so dass mir die Jungen nach- stellten. Die Meisterin gab mir manchen guten Rat, ich folgte ihr und ging auch nicht mehr tanzen und abends in Knabengesellschaften. Ich fühlte mich damals ganz als Mäd- chen, nur wenn die Buben zu frech wurden, da fiel mir ein. dass ich leider keines war. Am meisten freute ich mich auf Sonntag, wo ich mit den Kin- dern spazieren konnte im gestärkten Unterrock, weisser Schürze und Häub- chen, dann fühlte ich mich wie im Himmel- reich; nur wenn mir ein schöner Mann freundlich nach- blickte, ärgerte ich mich, dass ich keine besseren Brüste und Hüften hatte. Wie manchmal, wenn ich ein Mädchen baden

108

sah, wünschte ich ihren Körperbau zu besitzen, hätte ihnen gerne meinen dafür gelassen. Als ich noch religiös war, betete ich, ,,Lieber Gott mache mich doch zum Mädchen". Mit 16^2 Jahren überwältigte mich ein Mann, jedoch ich wehrte mich, er aber verschrie mich als Zwitter, so hatte ich keine Ruhe mehr, ich musste in eine andere Gegend und zog nach Frank- reich, wo ich in Luneville als Stickerin anfing. Ich hielt dort Freundschaft mit einem Mädchen, die entgegengesetzt wie ich war, nämlich männisch, und als sie in die Stickerei nach St. Quentin ging, folgte ich ihr. Nicht lange darauf lockte micb ein Sticker nach Paris, wo ich mehr verdienen würde. Dort hatte ich Gelegenheit zuerst mit Frauen zusammen zu kommen, die ndt anderen Frauen zusammen lebten in ehe- artigem Bund, wie es eine in Frankreich ziemlich verbreitete Sitte ist.

Da ich nun eine gute Arbeiterin auf Seide war, so ersuchten manchmal Sticker meinem Arbeitgeber, mich ihnen für einige Zeit abzutreten, da ihre Stickerinnen nicht so geschickt waren als ich. So kam es einmal, dass ich gezwungen war mit einem gleich alten Mädchen zusammen zu schlafen. Ich hatte stets die Gewohnheit das Hemd so zwischen die Beine zu legen, dass niemand meine Organe sehen konnte. Mitten in der Nacht aber weckte mich meine Bettgenossin auf und sagte mir, dass ich nicht richtig geschaffen sei. Ich schämte mich zuerst und frug, wie sie das behaupten könne, sie sagte: „ich berühre stets meine Schlafgenossinnen und fand so, dass du anders bist“. Ich bat sie nichts zu verraten, sonst müsste ich so- gleich verschwinden. Sie sagte, du brauchst dich nicht zu schämen, es gibt noch andere Mädchen, die sind wie du, und bat mich ich solle nichts sagen, dass sie mich berührt hätte. Jedoch am Morgen liess sie mir keine Ruhe, ich sollte mich ihr zeigen, sie könne mir vielleicht einen Rat geben; und durch ihr vertrauliches Reden erlaubte ich ihr schliesslich, mich zu untersuchen. Dieses Mädchen war die erste mit der ich in geschlechtliche Beziehungen trat, wobei ich succubus war. Ich hatte den sehnlichen Wunsch von ihr Mutter zu werden. Sie heiratete aber bald wegen Geld, wollte jedoch haben, ich sollte zu ihr ziehen. ' Aber ich merkte,

109

dass auch ihr Mann mir nicht abhold war, und so traute ich dem Frieden nicht. Doch besuchte ich sie öfter; einmal war der Mann allein zu Hause, er lud mich ein zu w'arten bis die Frau käme, Hess mich viel trinken und plötzlich umfasste er mich, wollte mich küssen und gewaltsam gebrauchen, wobei er herausfand, dass ich kein Mädchen war. Da bedrohte er mich mit der Polizei, wenn ich nicht die Gegend verlasse. Da entschloss ich mich wieder als Mann zu gehen, und fand als solcher Arbeit bei Claparede, St. Denis an der Seine, trug aber die Mannestracht nur während der Arbeit, zu Hause legte ich sofort die Frauengewänder an und hielt mich von allem so fern wie möglich. Es gefiel mir aber garnicht unter den Männern zu arbeiten, noch weniger behagte mir die Kleidung und immer befürchtete ich noch, dass der Mann meiner Freundin mich anzeigen würde. Der Zufall gab es, dass ich dieser eines Abends begegnete, sie drang in mich, doch wieder mit ihr zu leben, sie sei ihres Mannes über, er wäre zu leidenschaftlich, auch hätte sie sich die Ehe besser vorgestellt. Ihr Mann hätte ihr alles viel schöner versprochen, sie sagte, ich solle doch ihre Freundin werden, sie würde nie wieder mit einem anderen Mann Zu- sammengehen. Ich wollte nicht, indem ich damals selbst an mir zweifelte; wenn ich damals die Erfahrungen und Kenntnisse gehabt hätte, die ich heute habe, ich hätte ihr die Frau er- setzt. Damals aber betrachtete ich es als Schlechtigkeit, litt sehr viel unter Selbstmordgedanken, und hatte keine Freude mehr an einem Leben wie ich es führte. So verliess ich 1882 Frankreich und ging nach New York. Fand auch hier bald Arbeit als Stickerin, wurde aber entdeckt und nahm dann eine Stellung als Magd auf einem Bauerngut im Staate New York an, denn ich dachte, ich würde dort unbehelligt leben können. Die Bauern hatten damals grosse Not Mägde zu bekommen. Eine Weile ging es auch ganz gut, aber eines Tages wurde der Bauer in Abwesenheit seiner Frau zudring- lich, ich fürchtete Entdeckung und als ich las, dass in Jersey- City Stickerinnen gesucht wurden, verliess ich den Platz und bekam in Jersey C. gute Arbeit. Damals kaufte ich mir die modernste Damentoilette, so dass ich reizend aussah, gab

110

meine ganzen Ersparnisse dafür aus, denn ich dachte, hier lange zu arbeiten und viel Geld zu verdienen; jedoch die anderen Mädchen machten mir die Arbeit sauer, deshalb gab ich sie auf. Einige Wochen konnte ich noch gut leben. In- zwischen lernte ich einen Sticker kennen, der mich nicht aus den Augen liess und mir überall nachging. In einer Sauf- nacht fand er heraus, dass ich kein Mädchen war, ich wollte